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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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eine Kiste gerutscht sind und bei der Großinventur plötzlich wieder auftauchen und dann mit jahrelanger Verspätung zugestellt werden.
    Während ich von Sonderangeboten und Gruppentarifen lese, trippelt die Vergangenheit durch mein Hirn. Unsere Überfahrt, diese Minikabine und der marode Aufenthaltsraum, daneben Glücksspielautomaten, Alkohol- und Parfümläden. Unser Edinburgh-Jahr vor uns, ohne Verwandte in der Straße, ohne gutes Essen in der Stadt und rundherum nur Linksverkehr. Am Schluss der Überfahrt lag ich seekrank und quer auf dem Teppich des Schiffsaufenthaltsraums, versperrte den Weg. Menschen stiegen über meine Beine. Sie sahen in mein fahles, seeuntüchtiges Gesicht und lächelten. Wahrscheinlich waren sie dankbar. Complicate Your Life. May I help you?
    Seit dieser Überfahrt habe ich ein Teppichtrauma. Teppiche, davon bin ich fest überzeugt, können allerhöchstens scheinsauber sein, mehr nicht. Scheinsauber bedeutet, dass man aus dem Stand (also aus 1 , 65  Meter plus/minus x) nichts wirklich Anrüchiges, Fleckiges, Brösliges darauf ausfindig machen kann. Das sagt aber natürlich nichts über Sauberkeit, was mir sofort jeder bestätigen wird, der einem Teppich jemals nähergekommen ist. Ich bin wirklich nicht penibel, was Schmutz angeht. Das muss man aber auch gar nicht sein, um mit Teppichen ein ernsthaftes Problem zu haben. Jeder der behauptet, sein gutes Stück, das sich da im Wohnzimmer so total gemütlich ausbreitet, das sei die große Ausnahme, der lügt sich entweder selbst in die Tasche oder aber ist nicht nah genug dran. »If your pictures aren’t good enough, you’re not close enough«, sagte Robert Capa, der berühmte Kriegsfotograf. Wenn man nah rangeht, wird die Welt eben kompliziert. Und Teppiche werden dann eben schmutzig. Und natürlich, auch dieser Telezoom-Capa war Teppichfeind, er muss es gewesen sein. Um die schmutzige Wahrheit über Teppiche herauszufinden, braucht man nichts weiter als einen beutellosen Staubsauger, am besten mit durchsichtigem Behälter, ein wenig Mut und den richtigen Zeitpunkt.
    Der richtige Zeitpunkt ist, wenn der Teppich
sauber
ist. Einen
schmutzigen
Teppich zu saugen, das macht man ja jeden zweiten Tag und wundert sich nicht weiter über den Dreck im Behälter. Gut, dass ich gesaugt habe, wird man noch aufseufzen. Und: Jetzt ist das gute Stück wieder sauber.
    Irrtum.
    Wer sich jemals die Mühe gemacht hat, einen
sauberen
Teppich zu saugen, der weiß, wovon ich spreche. Und sehen sie nicht alle fürchterlich sauber aus? Wie sie da liegen, heimelig, gemütlich, kommod. In Schiffscafeterien, in Eltern-Kind-Singgruppenräumen, in Hotelzimmern, in denen ich barfuß von Bad zu Bett wanke (das macht doch sonst niemand, oder?).
    Da lag ich also auf diesem Schiffsteppich, irgendwo auf der Nordsee. Auf mir tollten zwei Kinder, die mein Liegen als Spielangebot werteten. Ein Mann wird in sein neues Leben geschippert. Diesmal also Linksverkehr, er kommt liegend, viel Spaß.
    Unter Deck, tief unter dem Teppich, parkte unser gesteckt voller Passat, der eigentlich meinen Eltern gehörte: Das orangefarbene Töpfchen – mit dem Gianna sauber werden soll, die dann aber einfach unser Klo benutzte – klemmte hinter dem Seitenfenster, auf dem Dach die zwei großen Mercedeskoffer, die sich mein Großvater für seinen Kombi hatte maßschneidern lassen und die, seitdem ich sie kenne, komisch riechen. Und natürlich hatten wir zu viel Alkohol dabei, einen Fünf-Liter-Bottich Primitivo und vier Flaschen Wodka.
    Ich kann sehr schlecht lügen, noch schlechter betrügen, selbst beim Schwarzfahren bin ich eine Flasche. Ich bekomme sofort rote Ohren, einen ganz unauffällig auffälligen Blick, beginne zu zittern. Da genügt es, dass einer mit Seemannsmütze und Lederimitat-Herrenhandtasche meinen Waggon betritt. Kontrolle! Das fühlt sich lebenszeitverkürzend an. Im Grunde genommen müsste mir die Krankenkasse mein Ticket zahlen, aus gesundheitlichen Gründen. Schwarzfahren macht mich einfach krank.
    Während wir – ich war noch benommen von Wellen, Fähre und Teppich – von Bord rollten, grummelte es in meinem Magen. Was, wenn sie uns anhalten, filzen, erwischen würden? Im Schleichtempo steuerte Viola unseren total überfüllten Wagen durch den Hafenparcours. Überall Newcastler mit Neonwesten, »Customs« stand auf ihnen, ihre Blicke: grimmig. Und wir kamen auch noch aus Amsterdam. Die Bohlen ratterten unter uns, es nieselte. Na, wenigstens das: Da hatte doch

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