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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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fliegen? Und den Wagen wollten wir danach dort unten verticken. Schon wähnten wir uns in grenzenloser Mobilität und Reichtum.
    Nur: Es fuhr keine Autofähre nach Israel. Aufgrund der politischen Lage sei die Verbindung vorübergehend eingestellt worden, stand im Internet. Wir hätten Fähr-Hopping machen müssen, über Griechenland und Zypern.
    »Dann fahren wir halt mit Frachtschiffen«, meinte Viola: Billig zwischen Containern und abends Schnaps mit der Crew.
    Frachtschiffe fuhren zwar, wollten aber 800  Euro pro Nase. Und was genau hätten wir eigentlich fünf Tage lang mit vier Kindern auf so einem Containerschiff gemacht? Wir überlegten noch kurz. Der Landweg? Osttürkei und dann? Syrien? Das alles, nur um dort dann ein Auto zu haben? Das dann ja auch noch aufgebrochen worden wäre. Nee, nee.
     
    Wir saßen also in der A-Team-Karre, vier Kinder mit an Bord, dazu der Ajami-Araber. »Da müsste es ja auch irgendwo Strand geben«, murmelte ich zu Viola. Und wo Strand ist, ist es gut. Und nach Kern-Tel-Aviv war es wirklich nicht weit. Zwölf Minuten vielleicht mit dem Rad. Erst später verstanden wir, dass das ganze Viertel durch einen gigantischen Müllberg vom Meer abgetrennt war: Die Trümmer von etwa 3000 arabischen Häusern, die die Tel Aviver Stadtverwaltung in den siebziger und achtziger Jahren hatte einreißen lassen. Dazu illegaler Müll. Als wir das Meer suchten, war der Berg etwa 15  Meter hoch.
    Wir waren angekommen. Es war ein kleiner, dunkler Bungalow voller Kram, mit Rohputz an der Wand. Immerhin ein Garten. Die Kinder tollten ein wenig. Lustlos. Es gab keinen Rasen, keine Spielzeuge, nur Erdboden.
    Als wir in die Küche kamen, saß dort eine alte Frau.
    »Ja«, sagte unser Fahrer, Küsschen links, Küsschen rechts, das sei seine Mutter. Wir nickten in ihre Richtung: »Salam.« Eigentlich waren es kleine Verbeugungen.
    Und dann begann ein heftiger Disput zwischen Mutter und Sohn. Wir verstanden nichts und schauten uns verlegen weiter um. Dunkel war es hier und total vollgeräumt. Wann sie denn ausziehen würde, fragte ich. Er eierte rum, sprach von einem Bruder, der Maurer sei.
    »Man könnte zum Beispiel hier eine Mauer ziehen«. Sein Arm schnitt durch die Küche.
    »Mauer?«
    »Ja. Dann hätte meine Mutter auch einen eigenen Eingang, und Sie könnten Arabisch lernen.«
    Oh.
    Ja, das klinge interessant, logen wir.
    Jetzt müssten wir dann aber auch wieder aufbrechen; die Kinder, Hunger, Termine.
    Es gibt ein paar Worte, die ein Eigenleben entwickelt haben, sich eine Parallelbedeutung aufgebaut haben. Man will ehrlich sein, aber kein Rüpel. Der Ausweg ist ähnlich wie beim Zeugnisdeutsch ein Geheimcode der Alltagssprache. Beim Abendessen serviert ein Freund zum Beispiel ein Himbeer-Ziegenkäse-Risotto? »Schmeckt total
interessant

    Und wie ich den neuen Gitarrenlehrer finde?
    Den langweiligen Paul? »
Nett.
Warum?«
    »Und diese Leggins, kombiniert mit dem halskrausenähnlichen Maxi-Schal.«
    »Ja, ich weiß, der ist handbedruckt und kommt aus Mauritius.
Ungewohnt
, ja.
Kunstvoll.
Und das ist halt auch
echt mal was anderes

    Ich vermute, dass sich die Doppelzüngigkeit dieser Worte beim Übersetzen verdünnisiert. Der Ajami-Araber aus der A-Team-Karre jedenfalls hat in den nächsten Tagen noch viermal angerufen, immer wieder mit neuen Ideen, hinter welcher Mauer er seine Mutter hätte parken können. Und beim Preis, meinte er, da ließe er noch mit sich handeln.
    »Hört sich interessant an. Echt.«
     
    Wir sahen noch eine ganze Menge, eine Wohnung ohne Fenster etwa. Also, kein Schildbürgerversehen, da waren schon Aussparungen in den Wänden, nur eben kein Glas. Eine andere Wohnung im vierten Stock war sehr schön, Riesenbalkon. Allerdings ohne Geländer, also ganz ohne Geländer, stattdessen: hüfthohe Kakteen. Die Vermieterin meinte, dass das letztendlich doch auf dasselbe rauskäme.
    Die nächste hatte einen Balkon mit Geländer, nicht ganz billig, dafür aber Erstbezug. Eine Waschmaschine könnte noch besorgt werden. Den Rest müssten wir kaufen, meinte der Vermieter. Wir rechneten, überlegten. Die Kinder kaperten die Wohnung, stampften über unbetretenes Parkett, tappten an frisch gestrichene Wände. Camilla setzte sich in eine poshe Maueraussparung, in die vielleicht später mal eine schlanke, teure Vase gestellt werden würde. Sie grinste, ihr Hintern passte genau in die Lücke. Als sie wieder aufstand, war die Aussparung grau, ein Kinderpobackenabdruck auf dem Vasenplatz. Und

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