Aus Liebe zum Wahnsinn
Waschmaschine Polyneikes, mit kaputter Pumpe vom Schlachtfeld getragen, von Atlas mit seinem Rückentragegestell.
»Ein Teppich hier ist wahrscheinlich eh Mist«, quittierte Viola. »Bei der Hitze.« Manchmal frage ich mich bis heute: Ob sie wohl den Hoeneß-Bub kennt?
Die Honeybeach-Bar hatte den Außenbereich neu bestuhlt. Auf dem Trottoir: ein Berg alter Holzstühle, absichtlich demoliert. Mal die Lehne gebrochen, mal ein Bein, mal eine Strebe. Wir verluden zwölf kaputte Stühle auf unseren Kinder-Fahrradanhänger, schachtelten und stapelten. Dinge mit Geschichte sammeln. Und dann weiterschreiben: Im Palast auf der Dachterrasse bastelten wir acht ganze daraus, strichen die Sitzflächen rosa und blau, die Kinder durften mitmalen.
Stühle, Saftpresse, Klappbett, kein Teppich – so sammelten wir, was man zum Wohnen so braucht. Einzig: Wir hatten noch immer keine Wohnung. Und nicht mehr viele Palast-Tage. Was, wenn auf einmal kein Tag mehr übrig sein sollte? Kein Tag mehr, an dem wir eine zu kleine, zu teure, zu laute Wohnung ansehen konnten. Kein Tag mehr, an dem Makler uns sagten, dass die in den USA lebenden Vermieter nur Jahresverträge rausgaben und keinen Monat weniger. Was, wenn auf einmal die Leute aus dem Laos-Urlaub wieder vor der Tür ständen? Wir hätten dann total überrascht tun können.
»Ihr hier?« Dann ein verblüfftes Gesicht, mit Hang zum Entsetzen, bereit für eine ganz schreckliche, laotische Urlaubabbrecher-Geschichte. Hotel voller Ratten, am dritten Tag ausgeraubt, in Afghanistan notgelandet und seitdem auf dem Rückweg: zu Fuß und mit dem Bus. Überhaupt: Hatten die nicht mal ein Kind mehr gehabt? Mein Gesicht hätte schon wirklich entstellt aussehen müssen, auf alles, wirklich alles gefasst, dann ein paar hilflos verwirrte Sätze hinterhergepresst.
»Ihr … ihr wolltet doch erst in drei Wochen kommen? Es ist doch nichts passiert? Nichts Schlimmes, oder?«
Viola sagte, ich sei ein Talentminimalist, zumindest was Schauspielerei anbelangte, aber noch einiges mehr, und ich sollte jetzt lieber noch mal diesen Typen anrufen, den Araber aus Ajami.
Eine halbe Stunde später fuhr ein schwarzer, kastenartiger Subaru vor. Abgetönte Scheiben, silberfarbene Trittbretter an den Seiten, es sah ein wenig nach A-Team-Karre aus. Klar hätte er eine Wohnung, meinte der Mann.
»Was heißt hier ›Wohnung‹? Ein Haus mit Möbeln, Wänden, Kaffeemaschine, Garten, allem drum und dran. In Ajami.« Wir sollten einsteigen.
Wirklich? Ajami? Einmal waren wir nachts auf unserer Palast-Dachterrasse gesessen, als plötzlich Böllerschläge die Luft zerrissen. Wir blickten uns um, suchten das Feuerwerk. Hoeneß? Mein Onkel? Ein Nachbar lachte. Nein, nein, kein Feuerwerk. Das sei drüben, das andere Viertel, Ajami, Straßenschießereien.
Ajami ist das Viertel im Süden Tel Avivs, vor dem uns jeder gewarnt hat.
»Die werden dein Auto aufbrechen, dich ausrauben, du wirst viele Drogen sehen, viel Gewalt. Auf offener Straße. Alles frustrierte, abgekanzelte Araber dort.« So was eben. Und ich stand im Hagel der Einwände: nickend, vollgehagelt, verloren. Ich hätte zur Gegenrede ansetzen können, mich aufreiben an großkalibrigen Sorgen. Bringt meistens nichts. Und macht obendrein schlecht gelaunt.
Deswegen hatte ich meine eigene, kleine Rechthaberstrategie. Und die geht so: Zuerst bin ich ganz still. Ich lasse den anderen reden. Drogen und Einbruch und Ausland und überhaupt. Währenddessen nicke ich ein wenig, so dass der andere auch wirklich alles sagt. Alles, was er sagen kann. Dann eine kleine Kunstpause, sich in Gedanken sammelnd, und die Einwände vor dem inneren Auge noch mal schaulaufen lassen. (Vorsicht: die Pause darf nicht zu lange werden.) Jetzt mit zielsicherem Griff den mickrigsten, den nebensächlichsten Einwand vom Laufsteg drängen und diesen dann möglichst doof und in einem beiläufigen Ton widerlegen. Fertig. Es genügt, diese Widerlegung ab und zu gern auch nur mit ein, zwei Stichworten zu wiederholen. Schon ist man im Recht. Ich sagte also damals zum Beispiel: »Unser Auto können sie schon mal gar nicht aufbrechen. Wir haben nämlich gar keins.«
Ganz zu Anfang der Reiseplanungen war das noch anders. Da spielten wir mit dem Gedanken, einen alten Bus zu kaufen, mit Kindern und Krempel vollzupacken, uns in Brindisi einzuschiffen. So bekäme man ein ganz anderes Gefühl für die Entfernung, argumentierten wir, auch die Kinder. Könnte das nicht auch viel billiger sein als zu
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