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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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mir war klar: Schon während der Besichtigung wohnten wir das Objekt runter.
    Ich schimpfte ein wenig, aber mehr für die Eigentümerohren, als dass ich ernsthaft die Hoffnung damit verbunden hätte, meine Kinder verlören den Spaß am neuen Spielrevier.
    Ein schrecklicher Elternmoment. Man realisiert, dass man manche erzieherischen Maßnahmen nur für das Publikum inszeniert, für die eigene Imagepflege. Kommunikation, die über Bande gespielt wird, ist eine hässliche Sache. Wenn ich mit einem meiner Kinder spreche, aber das Kind gar nicht meine. Mir ist etwa aufgefallen, dass ich einem schreienden Kind auf dem Heimweg häufig genau dann Beruhigungsformeln zumurmle, wenn ich an einem Passanten vorbei muss. Ich sage: »Ach, Lorenzo, komm schon, gleich sind wir zu Hause.« Ich meine: »Auch wenn der schon total verheult aussieht, im Grunde genommen ist schon jemand für ihn da, und das bin ich.«
    Es ist armselig.
    Fast so schlimm wie die Belehrungssätze von naseweisen Eltern, die gern in überfüllten Zugabteilen ihren antwortübersättigten Kindern mal eben viel zu laut was erklären, in Wahrheit aber die Mitreisenden volllabern wollen.
    »Melanie, siehst du? Der junge Mann neben dir hat auch etwas zu lesen. Lesen ist gesund. Wenn du etwas größer bist, wirst du das auch können. Was glaubst du, was der liest?«
    Manchmal mag ich Bandenkommunikation auch. Kinder haben ja keine Scheu vor Klassikern, krallen sich im Supermarkt leidenschaftlich an Warenausleger, durch die man Spalier laufend den einzigen Weg zur Kasse nimmt: »Ich will aber Schokoriegel/Kaugummi/Überraschungs-Ei/Tic-Tac. Jetzt!« Ich brülle dann auch irgendwann: »Die bauen die Scheißdinger doch absichtlich genau hierhin, genau auf deine Höhe, damit wir hier stehen und dich anbrüllen. Willst du, Gianna/Elena/Camilla/Lorenzo/Gionatan/Jim tatsächlich auf so einen blöden Trick hereinfallen?«
    Der Eigentümer der Wohnung jedenfalls winkte ab. Der graupopomelierte Erker seiner Musterwohnung? Egal. Und zwar nicht, weil er besonders geschäftstüchtig war, nicht, weil er in uns die einzigen Mieter sah, die die erste fertiggestellte Wohnung in dem Komplex anmieten könnten und so blöd wären, für ein Baustellenleben die satte Miete zu berappen – waren wir nämlich nicht. Und auch nicht in einer antrainierten, aufgesetzt beherrschten Kinderfreundlichkeit, die im Grunde auch nur eine Geschäftstüchtigkeit mit größerem Radius ist (Die kleinen Rentenkasseneinzahler, die muss man halt aushalten). Nein, sondern weil Kinder in Israel einfach dazugehören. Und zwar aus einer gelassenen, selbstverständlichen Haltung heraus. Kinder machen Sinn und Freude, hauptsächlich aber Dreck und Chaos – so sind sie halt.
    Asaf zum Beispiel, unser späterer Nachbar, von dem die Eltern dachten, er studierte, wir aber wussten, dass er eigentlich immer im »Riff-Raff« rumhing, einer berlinesken Wohnzimmerkneipe zwei Straßen weiter, manchmal, um dort zu bedienen, manchmal auch nur, um dort zu trinken. Asaf also, er klingelte ein paar Wochen nachdem wir über ihm eingezogen waren: Ob wir ein längeres LAN -Kabel hätten? Also so eins fürs Internet. Wir suchten, baten ihn herein, tranken gemeinsam Kaffee. Nach einer halben Stunde stellte sich ganz nebenbei heraus: Er hatte in den letzten Wochen eine Art »Lärmgrundriss« unserer Wohnung erstellt. Der Platz, der bis in die Mittagszeit laut seinen Studien am ruhigsten war, wo er auch sein Bett hingerückt hatte, war nun sehr weit weg von seiner Internetbuchse, weswegen er nicht mehr vom Bett aus surfen konnte, was er aber gern wollte …
    Wir haben schon oft Wohnung gesucht in verschiedenen Städten und Ländern, mit unterschiedlicher Anzahl an Kindern. Aber nirgendwo sind die Kinder so wenig Thema wie in Israel. Und nirgendwo so viel wie in Deutschland.
     
    Ich sollte noch mal bei Kobi vorbeigehen, meinte Viola, der Mann, der Wohnungen aus Zwangsversteigerungen rauskaufte. Der Typ also, der uns gleich zu Anfang seine fünf Pässe gezeigt hatte und sie dann zurück neben Dollarscheinbündel in seinen Tresor legte, der Viola nach 25  Minuten bereits anvertraut hatte, dass er eine »offene Ehe« führe, die dann allerdings nicht mal unser Mietverhältnis überdauert hatte, der das philippinische Kindermädchen bei sich zu Hause in einem Zimmer wohnen ließ, dessen Grundfläche die einer handelsüblichen Matratze unterschritt.
    Ja, er habe da etwas, sagte Kobi. Wir könnten gleich vorbeifahren. Er öffnete den

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