Aus Liebe zum Wahnsinn
Wagen, gab eine fünfstellige PIN ein, es piepte. Er ließ den Motor an. Sein Wagen wäre auch GPS -geortet. Sonst wäre die Versicherung so teuer. Würde der Wagen geklaut, meinte Kobi, hätte man genau eine Stunde. Wenn man ihn innerhalb dieser Zeit nicht stoppen würde, dann wäre er im Westjordanland. Er wischte mit der Hand durch die Luft, als ob er eine Fliege hätte vertreiben wollen.
»Dann ist er weg.«
Ich dachte an seine fünf Pässe, die Stahlgarage, aus der er den Wagen gerade lenkte, die Dollarbündel, die offene Ehe. Dann ist er weg? Westjordanland?
Die Wohnung war super. Zwei Balkone, Einbauschränke, billig, zentral und meernah. Im Hausflur lag zwar eine tote Katze, aber die konnte man ja wegräumen. Das Problem: Amiram.
Amiram war der Vorbesitzer, ein Halbinder, der die Wohnung beim Roulette verzockt hatte. Und jetzt noch drin wohnte, weil er nicht so recht wusste, wohin. Er wohnte dort zur Miete, die er nicht zahlte.
Innerhalb von ein paar Sätzen, die ich nicht verstand, schaukelte sich die Unterhaltung zwischen ihm und Kobi hoch. Ich schaute mich um, wie man es eben tut, wenn man eine Wohnung zu mieten beabsichtigt.
Kobi und Amiram schrien sich an.
Klo und Bad getrennt – ja, das war gut.
Kobi schlug mit der Faust gegen die Wand.
Ich prüfte noch mal den Zustand der Silikonversiegelungen, den Wasserdruck.
Kobi brüllte, raste aus der Wohnung, außer sich vor Wut.
Ich nickte Amiram zu, schabte noch zweimal verlegen mit dem Fuß auf der Küchenfliese – und ging hinterher.
Nach einem Treppenabsatz wandte sich Kobi zu mir um, ohne jede Wallung, vollkommen gelassen. Manchmal müsste man eben ein wenig härter vorgehen, meinte er. Ob wir einziehen wollten? Am Sonntag wäre die Wohnung frei.
Ja, wir wollten. Denn die Laoten standen bei uns vor der Palasttür. Und nein – um es gleich vorweg zu nehmen: Die Wohnung mit den zwei Balkonen war am Sonntag natürlich nicht frei.
Patachon, der Hausfisch, der Normalverhinderer, drehte aufgeregt ein paar Runden. Genau so hatte er sich das vorgestellt. Wir, aufgewachsen im Speckgürtel Münchens, behütet und abgesichert, standen auf einmal im Herzen des Nahostkonflikts, mit vier kleinen Kindern, einem Vermieter mit fünf Pässen im Tresor, der uns eine Wohnung zuschanzte, aus der ein glückspielsüchtiger Halbinder sich nicht rausbewegte. Goldfischfest.
Patachon hatte ja recht. Im Grunde genommen fand ich Normalität schon immer anstrengend. Nicht so sehr, weil ich denke, dass Anderssein immer besser ist. Eher aus einem Moment der Seelenhygiene. Meine Tante sagt: »Man kann, man darf, man soll – aber man muss nie.« Das ist ihr Spruch. Hätte ich Kaffeetassen mit Aufdruck – würde ich ihn mir auf meinen Gutemorgenbecher schreiben. Ein guter Start für jeden Tag, und sei es der, an dem einen die Frau verlässt, das Kind beschimpft, der Chef kündigt.
»Aber man muss nie«, sage ich mir.
Erwartungen erfüllen zu sollen und zu müssen ist undankbar. Man kann dabei nur verlieren. Der Job des Tonmanns beim Dokumentarfilm ist genauso. Die Kamera wird gelobt, jeder Schwenk analysiert, die Recherche gewürdigt, der Autor umgarnt. Aber kein Mensch sagt: »Oh, phantastischer Atmo-Ton, astrein eingefangen, und das unter
den
Bedingungen. Respekt.« Der Ton fällt nur auf, wenn er stört.
Bei uns zu Hause ist das Pendant zum Tonmann der, der den Kuchen aus dem Ofen holen muss. Manche sagen, ich übertreibe, aber noch mal eben rauszugehen und im Türrahmen zu flöten: »Ach ja, könntest du dann bitte noch nach dem Kuchen sehen?« ist nichts weniger als systematische Menschenerniedrigung. Denn auch beim Kuchenrausholen gilt: Gewinnen ist unmöglich. Im günstigsten Fall, wenn also Chronos, der Herrscher der Zeit, am Rausholer Gefallen findet, ihm ein glückliches Händchen schenkt und ihn den optimalen Rausholzeitpunkt erraten lässt, selbst dann wird für das gelungene Gesamtkunstwerk sämtliche Meriten ganz selbstverständlich der Bäcker einstreichen. Und der Rausholer kann sich in die Masse der zum Dank verpflichteten Mitesser einreihen. In allen anderen Fällen, und ein Kuchen ist eigentlich nie perfekt, trifft den Rausholer die Bäckerwut mit voller Wucht. Zu hart, zu braun, zu dunkelbraun, zu blass, zu spitz, zu schwarz, zu krustig. Und innen: zu weich, zu teigig, zu breiig, zu mürbe, zu klebrig, zu bröselig. Und überhaupt: »Der sieht irgendwie ganz anders aus als sonst.«
Es ist Teil der Demütigung, dass der Rausholer nur
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