Aus Liebe zum Wahnsinn
Halbfinale, log ich, wäre ich wieder da, ganz klar, Hinterzimmer mit den bunten Cocktails. Inschallah.
Ich sprach in diesen Tagen mit vielen jungen Männern im Gazastreifen. Studenten, die vermummt ihre Kalaschnikows durch die Straßen trugen, junge Väter, die aus alten Gasflaschen Panzerminen bastelten. Wir redeten viel über Hass, wenig über Hoffnung, viel über Heldentum, wenig über Zukunft. Und Mohammed? Der Junge, bei dem ich im Zimmer schlafen durfte, der Nachbar von Ranya. Ich war bereits wieder in Deutschland, als mich eine SMS von Ranya erreichte, Mohammed sei am Tag zuvor beim Picknicken mit zwei Freunden im Grenzsperrgebiet von einer israelischen Drohne getötet worden. Seine Mutter hätte nur noch einen Arm beerdigen können.
Warum Mohammed? Mit ihm saß ich abends auf dem Hausdach ums Lagerfeuer, wir redeten über Kaffee, über Schule, über seine Pläne. Wir steckten unsere Köpfe zusammen über seinen Schulatlas, auf dem der israelische Staat nicht eingezeichnet war und sich stattdessen ein riesiges Palästina ausbreitete. Er aber deutete auf Amsterdam und Kopenhagen. Ob ich ihm helfen könnte, sich um Stipendien für europäische Unis zu bewerben?
»Ja, klar.«
Doch dazu war es nie gekommen.
Der letzte Schluck Bier schaukelt in der Flasche. Viola liegt auf dem Parkdach und sagt nichts. Absolut nichts. »The finest in Middle east« steht auf dem Label, wahrscheinlich auch das einzige, zumindest aus den palästinensischen Gebieten. Drunter die Unterschrift von Nadim C. Khoury, gebraut nach deutschem Reinheitsgebot. Der Schluck ist wahrscheinlich ohnehin schon lack, denke ich und schwenke die Flasche ein wenig, als ob Kognak darin wäre. Vielleicht ist ja auch gar nichts? Vielleicht ist ja gar nichts los mit Viola. Vielleicht bilde ich mir alles nur ein?
Meine Freundin Irit erzählte mal von ihrem Ex-Mann, »diesem unsensiblen Stück Typischmann. Der hat überhaupt kein Verhältnis, nicht mal zu sich selbst«, sagte sie. Der könne nicht mal Magen- und Darmschmerzen voneinander unterscheiden.
»Ein Typischmann eben.«
Ich nickte gleichermaßen bedröppelt wie ertappt. Es fühlt sich immer blöd an, eine unsensible Seite an sich zu entdecken. Aber besonders blöd ist es, wenn diese auch noch dem Genderklischee entspricht: Magen und Darm – tatsächlich ist das auch für mich ein einziges Bauchinnenraumdurcheinander.
Ich bin gern Mann, aber ich bin extrem ungern Typischmann. Testosteron klingt für mich nach Tier, nach Bulle; Fußball nach Dosenbier, nach Hooligans. Aber Magendarm? Ist das nicht ein Wort? Hält man sich da nicht die flache Hand knapp unterhalb des letzten Rippenbogens, kneift ein wenig die Augen zusammen, reckt den Hals und sagt: »Ich habe da so eine Magendarm-Geschichte, ganz übel.« Früher zumindest war das okay. Freunde hatten dann Mitleid und sorgten sich und schonten den anderen, und Ärzte hatten dann Medikamente, auf deren Beipackzettel »Linderung von Magen-Darm- Beschwerden« versprochen wurde.
Ich gebe ehrlich zu: Ich bin eher der »Magendarmtyp«, also in einem Wort und dann rippenbogenabwärts. Als ich das Irit beichte, schüttelt sie den Kopf, sagt, ich müsse da an mir arbeiten, das sei total hölzern, total Typischmann.
Und das tue ich jetzt auch. Ich arbeite an mir. Immer wenn ich Irit sehe, mache ich jetzt Introspektion, eine gedankliche Magen-Darm-Spiegelung, also erst Magen, dann Darm.
»Frühstücksmarmeladenbrötchen dringt verlustfrei in den Zwölffingerdarm vor, Magen wieder gefechtsbereit.« Die Statusmeldungen aus meinem Bauchinnenraum packe ich gern in Militärsprache, ein wenig Typischmann muss sein. Und Trotz ist sicher auch Typischmann, oder?
»Ich will noch ein Kind«, sagt Viola.
Stille.
Sekunden später ist alles Blut aus meinem Kopf gewichen. Ich nehme einen Schluck – ja, er ist lack – , korreliere Geburts- und Tagesdatum, pumpe wieder ein bisschen Blut in meinen Kopf, stottere: »Aber …, aber du bist zu alt! Die goldene Dreißiger-Regel!«
Sie sagt: »Wurscht. Ich will.« Das sei einfach eine Regel gewesen, ja, sie habe die auch nett gefunden. Aber jetzt, jetzt spüre sie tief drinnen, dass sie noch ein Kind wolle. Unbedingt. Jetzt. Sie spüre das körperlich. Ob ich mir das vorstellen könne?
Ganz tief drinnen? Wen meint sie? Ich beginne mit Nachforschungen. Kämpfe mich vorbei an Irit, am Magen, dann am Darm. Hallo? Ist da wer? Nichts.
Da ertönt plötzlich aus meinem Inneren Fanfarenmusik, Reitergetrampel,
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