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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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Flakons auf die Theke, direkt vor meine Nase. Mit dem Handrücken fuhr er an den Fläschchen entlang.
    »Rolex, Burka, Kalaschnikow.«
    Ich bemühte mich jetzt, nur noch durch den Mund zu atmen, dabei aber so auszusehen, als ob ich schnupperte. Das ist extrem schwierig. Man muss geheim und langsam bei halboffenem Mund einatmen und dann das fingierte Schnüffeln mit Begleitbewegungen kaschieren: Kopfrecken, Nasenflügel bewegen und ein wenig Luft zufächeln.
    »Burka bitte«, presste ich, »zweimal« und blätterte 150 Schekel auf die Theke. Ob er sie als Geschenke verpacken könnte? Ich müsste kurz raus, telefonieren.
    Als Ranya mir wenig später auf der Straße die Tüte in die Hand drückte, schaute sie tadelnd: Was ich mir dabei jetzt bitte gedacht hätte? Ich wand mich, wollte schon Ausreden anheuern, überlegte aber noch, welchen Gesprächspartner ich vorschützen könnte und vor allem, warum das doofe Ding nicht geklingelt hat, da blieb Ranya stehen, schaute mir direkt in die Augen.
    »Für wen ist das zweite Parfum?«
    Klar, daran hatte ich nicht gedacht. Das war eine absolute Grießbreiidee. Im Moment der Rettung einfach noch ein kleines Ablenkungsfeuerwerk zünden, hatte ich gedacht. Etwas, mit dem keiner gerechnet hätte, dass bloß nicht irgendjemand auf die Idee kommt, hier wolle ein Mann aus einem Parfumladen fliehen. Aber zugegeben: So eine zweite Burka, das klingt verdammt nach einer Geliebten.
    »Das ist für meine Mutter«, log ich. Ranya schaute so, als ob ich mit sehr dreckigen Fingern gerade an ihr Silberbesteck gegangen sei. Sie habe mir auch noch »Gelber Sonnenschirm, aufgeklappt« mit einpacken lassen, zur Sicherheit.
     
    Ich blieb damals fünf Tage im Gazastreifen, schaute der Frauennationalmannschaft zu, wie sie um das Erdloch herumkickten, begleitete palästinensisches Gemüse, das wegen der geschlossenen Warengrenzen auf den Lastern vergammelte, besuchte im Flüchtlingslager Khan Yunis, einen Rapper, der in seinem Zimmer auf dem Dach neben dem Taubenstall Eminem-Poster hängen hatte, trank mit dem geheimen und verbotenen Freund Ranyas geheim und verboten eine Flasche Wein, die ich geheim und verboten reingeschmuggelt hatte. Später saßen wir feixend bei Ranyas Cousins, als sie auf einmal ein Passbild aus ihrer Geldbörse zog. Ein Mädchen war drauf zu sehen.
    »Meine Freundin«, sagte sie, »tot.« Sie bewundere ihren Mut. »Sie ist im Kampf gegen das israelische Militär gestorben, ist eine Shahid, eine Märtyrerin.«
    Und obwohl die Cousins für ganz unterschiedliche politische Partei brannten, hatten sie alle ein Foto von sich, auf dem sie irgendwo mit Stirnband, Koran und Kalaschnikow für die Kamera posierten. Halb im Scherz. Vielleicht. Aber was ist daran schon Scherz?
     
    Ich kaufte tatsächlich noch Geschenke. Ein paar Bögen Aufkleber, Fulla, die arabische Version von Barbie, mit Kopftuch, aber genauso wespentaillig, inklusive rosafarbenem Gebetsteppich. Eine verkitschte, singende Plastikblume, die sich später bei Elenas Geburtstag als absoluter Renner entpuppte. Auf den Kuchen gesteckt, angezündet. Zuerst kommt ein paar Sekunden Feuerstrahlspektakel, dann klappen sechs Plastikblütenblätter aus, an deren Spitzen je eine entflammte Kerze klebt. Dazu spielt eine Knopfzelle »Happy Birthday« in Endlosschleife. Auf der Packungsseite steht: »If you need to stop the music, please cut off the copper wire.«
    Für mich kaufte ich noch ein paar Anzughosen. Umgerechnet sieben Euro das Stück, voll synthetisch, mit hübschen Spitzbogenlaschen über den Gesäßtaschen. Wo er die herhabe, fragte ich meinen Taxifahrer, der wie fast alle hier einen alten Mercedes aus Deutschland fuhr. Komplett auf senfgelb umgespritzt, bis auf das ovale Länderkennzeichen. Auf dem Weg zu seinem Lieblingsschneider, fragte ich ihn noch, warum sie das hier alle drauflassen, dieses »D« hinten am Kofferraum. »Das heißt ›Diesel‹«, sagte der Taxifahrer.
    Noch Jahre später gehe ich mit den unverwüstlichen Gazahosen durch mein Leben, durch Istanbul, die Voralpen oder an der Ostseeküste. Der Gazastreifen ist ein Billiglohnland. Häufig wird nur die Verarbeitung dort gemacht. Der Stoff kommt aus Israel, die fertigen Produkte werden meist gleich wieder exportiert.
    In meinem Hosenbund steht: »Made in Italy«.
     
    Ich schlief bei Mohammed, dem Nachbarn von Ranya. Sie könnte mich als unverheiratete Frau nicht bei sich im gleichen Haus schlafen lassen. Mohammed wäre zwar noch jung, erst 14 , aber sehr

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