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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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dazu Speergeklapper. Es ist sehr lautes Getrampel. Ich erschrecke ein wenig, denke mir aber: Okay, da musst du jetzt durch, seinem Inneren kann man schließlich schlecht ausweichen.
    Natürlich: Es sind Elefanten, Kriegselefanten, an ihrer Spitze Hannibal. Was will der denn bitte? Es geht hier um die Frage, ob wir ein fünftes Kind bekommen wollen oder nicht. Es geht um die Frage, ob wir zu siebt durchs Leben steuern wollen, ob das nicht alles kompletter Wahnsinn ist. Es geht um viel. Sehr viel. Zumindest für uns. Also, hallo, Hannibal, was bitte soll denn das jetzt?
    Wenn es einen gibt, der immer schon gestanzte Sätze parat hat, mit dem man nicht wirklich reden kann, dem man höchstens zuhören kann, dann ist es Hannibal. Er reißt seinen Elefanten rum, stellt sich auf den Sattel, legt die Handflächen gegen die Mundwinkel. Dann schreit er: »Das ist eure letzte Chance.«
    Wie das denn? Viola ist 30 , ich 29 . Ein weiteres Kind? Ich dachte, wir haben noch Zeit? Wann beginnen Risikoschwangerschaften?
    Hannibal könnte jetzt über Nachzügler lamentieren, vom richtigen Zeitpunkt schwadronieren, der nie kommen wird, schwärmen, wie toll doch alles funktioniert. Aber wie gesagt, Hannibal ist kein Mann der Diskussion. Er vertraut auf den Hall seiner Stimme, lässt den Elefanten zweimal stampfen und reitet fort, Richtung Magen. Oder Darm. Keine Ahnung.
     
    Wir hatten noch zwei Wochen, dann liefen unsere Visa ab. So was kann ein Moment der inneren Einkehr sein. Man kann das zum Anlass nehmen, die nächste Zeit zu planen. Man kann einen Flug buchen, zurück zum Beispiel. Und wenn nicht, dann kann man darüber nachdenken, warum man das eigentlich nicht tut. Ob man sich nicht gerade drückt vor der Rückkehr in das alte Leben, vor den Schritten, die jetzt anstehen. Mal richtig arbeiten zum Beispiel und sich nicht immer nur von einem Projekt ins nächste wursteln, nicht von Stipendium zu Stipendium hangeln.
    Klar, kann man alles machen, sollte man vielleicht auch. Bei uns war das anders, etwa so:
    »Du, unsere Visa laufen aus.«
    Langes Schweigen.
    »Ja. Dann müssen wir die halt verlängern.«
    »Ich geh da mal hin.«
     
    Ich stand vor dem Kirya Tower, der Tel Aviver Zweigstelle des israelischen Innenministeriums, gleich neben den Azrieli-Türmen, drei gewaltigen Wolkenkratzern mit unterschiedlichen Grundflächen. Der runde und der dreieckige Turm waren schon fertig. Der mit quadratischer Grundfläche wurde gerade gebaut. Von der 1 er Autobahn aus, wenn sich nach dem Müllberg bei Lod die Großstadt-Silhouette vor einem ausrollte, waren diese Türme mein Referenzpunkt. Von dort entfaltete ich die Karte im Kopf.
    Tel Aviv ist die erste Stadt, die ich von oben denke. München, Bologna, Hamburg, Berlin, Edinburgh, Florenz – überall, wo ich mich eben ein wenig auskenne, bin ich in der Fahrradsicht hängengeblieben. Eingefahrene Wege, die sich – wenn es gut läuft – zu einem Netz verbinden, das ich aber aus der Horizontalen denke, street view sozusagen. Bei Tel Aviv habe ich in die Draufsicht gewechselt.
    Angefangen hat das, als ich mal in Gaza nach dem Weg zu einem Fischrestaurant fragte und der nette Mann anstatt von rechts und links, nur von Himmelsrichtungen sprach.
    »Dann biegst du westlich ab und die dritte südlich ist es dann.« Ein Kompass im Kopf gibt eine Draufsicht. Beim Gazastreifen ist das eigentlich keine Kunst, der schmale Streifen zieht sich an der geraden Küste entlang, das Meer gibt Orientierung. In Tel Aviv ist das nicht viel anders, dachte ich mir und begann, Karten tatsächlich nicht mehr nur in Navi-Anweisungen zu übersetzen »Die nächste links und dann die dritte rechts«, sondern mit dem Kopf in der Vogelperspektive zu bleiben und wie ein kleiner, leuchtender Punkt auf der Karte zu fahren. Jahre später machten wir Urlaub in New York, und neben zwei Fahrrädern und etlichen Bartipps war es vor allem der Kompass, den uns eine Freundin lieh, der uns so gut durch die Stadt jonglierte.
     
    Die Dame des Innenministeriums stapelte die Pässe von Viola und den Kindern, klopfte sie ein paar Mal gegen ihre graue Schreibtischplatte und legte sie als akkuraten Stapel neben ihre Tastatur.
    »Jetzt machen wir erst mal die. Denn hier«, sagte sie und wedelte mit meinem Ausweis ein wenig in der Luft, »haben wir ein Problem.«
    Ich saß vor ihr. Ein Schuljunge, der auf seine Abreibung wartet. Natürlich, dachte ich, Innenministerium, Geheimdienst, Shabak und Mossad, FBI und so weiter, die wissen

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