Aus Liebe zum Wahnsinn
gern. Sie ist eine starke Frau, die sich in der Männer-Gaza-Doktrin immer irgendwie Freiräume erkämpft; die sich gegen ihren Bruder behauptet hat, der ihr das Studieren verbieten wollte; die einen Freund in Gaza-Stadt hat, den sie heimlich küsste; die es dann später geschafft hat, sich mit Hilfe europäischer Freunde – darunter auch ich – übers Wochenende die 3500 Dollar Brautgeld zu besorgen und sich so vom Willen ihres Vaters freizukaufen.
Ich mag sie wirklich.
Was ich allerdings hasse, sind ihre Geschenke. Es ist immer das Gleiche, ich kann sagen, was ich will. Sobald wir uns sehen, scheint sie nur noch einen Gedanken zu haben: Dieser Mann ist extra hierhergekommen, um sich und seine Familie mit Überraschungen aus dem Gazastreifen zu versorgen. Ein DIN A 3 -Reliefdruck der Al-Quds-Moschee zum Beispiel? So was könne man überall aufhängen. Eine Arafat-Tasse? Hier, bitteschön. Sieben Kilo Orangen? Ja, auch Ranyas Familie hat eine Plantage. Gern auch was mit Batterie: Ein Frotteeherz etwa, das, wenn man es drückt, »I love you« krächzt, oder Plüschhausschuhe für Camilla, die bellen, sobald man vorne draufsteigt. Einmal gab sie einem mir nur entfernt bekannten Journalistenkollegen einen Sack voll Second-Hand-Kinderwäsche mit. Vorbei an den Kalaschnikow-Brummbären, durch den Tunnel, durch die Gatter. Ich hatte einen Treffpunkt mit ihm ausgemacht, die Tüten gleich zu Anfang weggesteckt und dann vier Bier mit ihm getrunken.
Und einmal drängte sie mich in diesen winzigen Laden in Gaza-Stadt, nicht viel größer als ein ICE -Klo. Ein junger Hauch von einem Mann, Ahmad, ein guter Freund von ihr, wie sie ihn mir vorstellte, hinterm Tresen. Und davor, dahinter, links und rechts und unter und über ihm alles voller kleiner Fläschchen und Flakons und Phiolen. Es war heiß hier drin und feucht. Dazu ein Geruch, der jeglichem Gedanken den Atem raubte. Schwer, dick, süß, nicht mehr nur über-, sondern schlicht fehldosiert. Wie wenn man jemandem, der nach der Dessertkarte fragt, einen Sack Puddingpulver über den Kopf kippt.
Mir wurde schummrig. Um mich irgendwie auf den Beinen zu halten, fokussierte ich ein grünes Fläschchen knapp über Kopfhöhe. Ahmad grinste.
»Si Keyi bi?«, fragte er, und schon wedelte er mit einem parfümierten Tuch unter meiner Nase. »Schanell?« »Opseschn?« Meine Fußsohlen wippten, mein Gehirn verwandelt sich in warmen Grießbrei.
Es gebe hier alles, einfach alles, brabbelte Ranya von der Seite. Jedes Parfüm, an das ich nur denken könnte. Natürlich nicht das Original, aber Ahmad, der Mann mit der großen Spritze, könnte es mir nachmischen. Ich sollte was für meine Frau aussuchen, sagte Ranya.
»Frauen mögen so was.« Und ich sollte mir ruhig Zeit lassen.
Ahmad grinste wieder. Ob ich an etwas Bestimmtes dächte, ob ich schon wüsste, was ich wollte.
Ja, natürlich. Ahmads Parfüm einpacken und dann raus, das wollte ich. Luft! Schnell! Bitte!
Also los, ein Parfümname, irgendeine Marke, schnell. Ja, wie hieß es noch, das Dings. Ach. Gerade hatte er doch noch irgendwas gesagt. Ich sandte Eilboten in mein Grießbreihirn: »Parfümnamen, wurscht, welchen. Aber zackig!« Und tatsächlich: Es kam Bewegung in den Grießbrei, vor den Boten türmte sich ein mächtiger Berg auf. Gleich würde er kommen, der Name, der mich retten wird. Was heißt hier
ein
Name? Ein ganzer Haufen. Gleich, einen Moment noch. Dann: Bluff – eine Grießbreiblase, geplatzt. Darin: nichts. Und die Boten kehrten mit hängenden Köpfen und leeren Händen zurück. Das Einzige, was mir noch durch den Kopf ging, war Christine. Sie ist Unternehmensberaterin, effizient und erfolgreich. Sie sagt: Wenn sie eine halbe Stunde in einem Geschäft ist, dann kauft sie aus Prinzip etwas. »Sonst«, sagt Christine, »war die halbe Stunde ja verschenkt.«
Ich musste glasig geguckt haben. Zumindest schaute mich Ahmad ein wenig so an, und häufig ist es ja so, dass in Momenten der Emphase das Gegenüber den eigenen Ausdruck spiegelt. Ahmad nickte. Düfte nach Marken zu wählen, das täten auch nur Anfänger. Ein Parfum wäre schließlich Assoziation, Metapher: Gedanke und Luft.
Er belegte deswegen Parfums viel lieber mit den Namen von Alltagsgegenständen. Ich sollte ihn nur machen lassen. Ahmad griff hinter sich – nicht das grüne Fläschchen nehmen, bitte! Nicht den Fixpunkt meines Bewusstseins rauben! Ich klammerte mich an die Theke, blinzelte mich wach, zurück in den Laden. Ahmad stellte drei
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