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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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einfach alles. Ich und Gaza und West-Jordanland, die Interviews mit Terroristen, das Waffenlager, das sie mir gezeigt hatten: Die Kassam-Raketen dort, die selbstgebastelten Panzerminen. Sicher, mir waren auf dem Weg dorthin die Augen verbunden worden, aber vielleicht weiß der Geheimdienst ja genau das nicht. Wird es mir nie glauben. Die Studenten, die als Uni-Armee mit Sturmhauben und Kalaschnikows irgendwo in einem Hinterhof posierten. Die Reportage aus der Märtyrerstadt, einer Siedlung für Familien von Selbstmordattentätern, deren Häuser als Rache von israelischen Kommandos zerstört worden waren. All das würden sie jetzt aus mir rauspressen. Sie würden mich nicht gehen lassen, bis sie jeden Namen, jede Telefonnummer von mir hätten.
    »Wo liegt Netafim?«, wollte die Dame wissen.
    Netafim? Ich hatte keine Ahnung, stotterte ein wenig rum. Sie meinte, ich sei doch dort gewesen. Sie starrte auf ihren Bildschirm, schaute mich an, dann wieder auf den Bildschirm.
    »Problem«, sagte sie. Immer wieder dieses eine Wort. »Problem.«
    Sie habe hier 18  Einträge, alle für Netafim, teilweise am selben Tag rein und raus.
    Was Netafim überhaupt sei, fragte ich.
    »Problem.« Sie druckte Papiere aus, holte Dokumente, nahm meinen Ausweis. Ich sollte warten.
    Tage später – ich hatte einen ihrer Ausdrucke mit dem menorageprägten Innenministeriumspapier aus dem Papierkorb klauen können – bekam ich heraus, dass Netafim ein bereits vor Jahren geschlossener Grenzübergang zwischen Ägypten und Israel nahe bei Eilat am Roten Meer war. Bei jedem Grenzübertritt nach Gaza speicherte der Hi-Tech-Shabak- FBI -Computer der »Eis-am-Stil«-Typen: »Netafim«, einen längst gesperrten Grenzübergang fast 300  Kilometer durch die Wüste entfernt.
    Nach einer Stunde klebte mir die Behörden-Problem-Dame das neue Visum in den Ausweis. Sie könnte sich das jetzt auch nicht erklären, aber das würde schon alles irgendwie okay gehen.
    Warm und sämig floss das Glück durch meinen Körper. Es ist diese geschenkte Euphorie, wie wenn man einen Schlüsselbund, den man wirklich schon überall gesucht und mit dessen Verlust man sich bereits fast abgefunden hat, plötzlich doch noch in der einen Hosentasche scheppern hört, in der, die man doch schon dreimal kontrolliert hatte. Eigentlich.
    Dem Schicksal ein Schnippchen schlagen. Irgendwie bin ich gerade noch mal so davongekommen. Alles hatte geklappt. Sechs Pässe, neue Visa. Und Geld war auch noch übrig.
    Ich schwang mich aufs Rad, ein goldener Nachmittag, die Sonne im Rücken, die Räder surrten über den Asphalt, ich jubilierte.
    Als ich zu Hause vom Rad stieg, wollte ich abschließen, schaute zurück: der Gepäckträger – leer. Tasche weg. Alles weg. Wie ein Wilder raste ich den Weg zurück. Nichts. Noch mal. Doppelnichts. Wie kann man nur so blöd sein, die gesamten Dokumente einer sechsköpfigen Familie samt 700 Schekel Bargeld auf einen wackligen Gepäckträger zu schnallen? Wie geht das?
    Mein Telefon klingelte, Viola war dran. Ich wollte in den Hörer brüllen, heulen, schluchzen, jammern, die Visa, die Pässe, alles … – sie unterbrach mich: Gerade sei ein Taxifahrer da gewesen, habe eine Tasche gebracht, die lag auf der Straße. Meine Tasche. Er sei aber schon wieder weg.
    Danke. Vielen, vielen Dank!
     
    Irgendwann musste er kommen: Der erste Selbstmordanschlag in Tel Aviv.
    Viola war mit den Kindern gerade auf dem Shuk Ha’Carmel, dem Karmelmarkt, gewesen, dort, wo sich knapp zwei Jahre zuvor ein sechszehnjähriger Junge aus Nablus in die Luft gesprengt und drei Menschen getötet hatte.
    Diesmal traf es einen Shawarma-Laden an der alten Busstation, etwa zwei Kilometer entfernt. Über 30 Menschen wurden dort verwundet, der Attentäter starb. Kommt es zu einem Anschlag, unterbrechen alle Sender das Programm, berichten vor Ort. Die erste halbe Stunde nach einem Anschlag sind die Mobilfunknetze überlastet. Jeder ruft seine nächsten Bekannten an.
    »Mir geht’s gut. Was ist mit dir?« Inzwischen kennt in Israel fast jeder jemanden, der bei einem Attentat verletzt, wenn nicht gar getötet wurde.
     
    Ich war etwa eine Stunde nach dem Anschlag am Shawarma-Restaurant. Es war eine Mischung aus Professionalität und Entsetzen, Gefasstheit und Fassungslosigkeit. Eine Frau mit gelber Sicherheitsweste sortierte kindergroße Puppen vom benachbarten Laden, die bei der Explosion durcheinandergewirbelt wurden. Sie wirkte apathisch, als ob sie froh wäre, sich nicht um

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