Aus Liebe zum Wahnsinn
nett, gleich nebenan und außerdem irgendwie mit ihr verwandt. Jeden Abend um neun begann das Surren der Überwachungsdrohnen, immer wieder wurde die Nacht von israelischen Bombeneinschlägen zerrissen. Die wollen nur die Brücken kaputt machen, sagte Mohammed. Die Wand, an die ich meinen Kopf drückte, wackelte. Am Morgen schauten wir uns die Einschläge der Nacht an. Es hat nichts Kriegerisches, so ein Bombenkrater, sieht aus wie eine ungepflegte Baugrube, nur dass sie eben – in diesem Fall – eine Straße durchtrennte.
Der Krieg ist unübersichtlich und über alle Maßen absurd. Einerseits finanzieren die USA etwa ein Fünftel des israelischen Verteidigungshaushalts. Andererseits stand da dieses Schild neben den zersprengten Asphaltplatten. Es ist heil geblieben, hat die Bomben überstanden: »Finanziert mit Mitteln der US -Aid« steht darauf, einem amerikanischen Hilfsfonds, der Regierungsgelder verteilt.
Kinder bolzten einen Ball gegen eine Asphaltplatte, die früher Teil der Straße gewesen war und jetzt steil in den Himmel ragte. Auch im Krieg gibt es immer Alltag.
Ein paar Wochen später, Deutschland fieberte gerade im Sommermärchen, stand ich mit Ranya vor einem Restaurant in Gaza-Stadt. Es herrschte Krieg, »Operation Sommerregen« nannte ihn das israelische Militär. Drinnen lief das Viertelfinale der Weltmeisterschaft, Deutschland gegen Argentinien, draußen brachen israelische Flugzeuge den Schall: Säbelrasseln. Ein Kellner winkte uns, wir könnten nicht hierbleiben, eine unverheiratete Palästinenserin, geschminkt, noch dazu zusammen mit einem Europäer, zwischen all den Wasserpfeifen. Aber er habe noch einen Extraraum. Und so saßen wir im Hinterzimmer, schlürften alkoholfreie Cocktails und sahen Klinsis Elf durchs Elfmeterschießen zittern, während von der Grenze her Granateneinschläge donnerten.
Als wir gehen wollten, hielt uns der Restaurantbesitzer auf. Gratulierte, meinte, er habe selbst einen Onkel in Deutschland, »Dusseldorf«. Er liebe Deutschland. Das sei so ganz anders als Dänemark mit diesen Dreckskarikaturen. Er zeigte uns ein Plakat, das er an seine Restauranttür geheftet hatte, auf dem zum Boykott großer dänischer Marken aufgerufen wurde. Darunter eine dänische Flagge mit Fußabdruck.
Wir sollten noch einen Tee mit ihm trinken. Er heiße übrigens »Abu Amir«. Vater von Amir, bedeutete das, und »Amir« wiederum bedeutete »Befehlshaber«, erklärte er. Ich machte kleine Schritte, trippelte ihm hinterher, zur Bar. Er hatte noch vier weitere Söhne. Khaled, Jusuf, Mahmoud und Malik. Ob ich wüsste, was die Namen bedeuten würden? Ich schüttelte den Kopf und mimte eine erwartungsvolle Miene. Also, meinte Abu Amir und schlürfte am total übersüßten Tee, Khaled bedeute »der Ewige«, Yusuf »großer Führer«, Mahmoud sei »der Lobenswerte« und Malik »der Herrscher«. Ich nickte anerkennend und rührte ein wenig im Tee. Spätestens da hätte ich dazwischengrätschen müssen, hätte mich zum Beispiel als »Abu Lorenzo« vorstellen können oder diesen Namensquatsch ganz beiseiteschieben sollen. Aber nein, ich wartete und rührte. Und im Nachhinein habe ich Abu Amir schon in Verdacht, dies alles von langer Hand vorbereitet zu haben. Zu glatt war die Rampe, zu akkurat seine Treffer. Aber damals schlitterte ich vollkommen arglos Satz für Satz in die Malaise.
Abu Amir sagte, die Deutschen seien gute Fußballer, sie würden Weltmeister, sagte er. Philipp Lahm gefalle ihm. Schade, dass er keinen Elfmeter schießen durfte. Er hätte sicher verwandelt.
»Was bedeutet denn der Name?«
Pause.
Abu Amir und Ranya schauten mich neugierig an. Ich stotterte. Also, das mit den Namen sei im Deutschen nicht ganz so rigide, da gebe es viele Auslegungen und so. Und bei Lahm, also da müsste ich jetzt erst mal kurz überlegen. Also »Philipp«, das könnte griechisch sein, vielleicht irgendwas mit Freund.
»Aha. Und ›Lahm‹?«
»Ja, das also …« Ich schluckte. Dann sagte ich: »Ganz ehrlich, Herr Abu Amir. ›Lahm‹, das heißt ›langsam‹, ›behäbig‹, ›energielos‹, ›lasch‹, ›matt‹, ›schwach‹, ›träge‹, ›lethargisch‹, ›schlaff‹, ›tranig‹. So was eben.«
Abu Amir schaute mich lange an, seine Augen funkelten. Dann fragte er: »Und Schweinsteiger?«
Es ist ein großes Glück, dass ich in Momenten seelischer Not tollpatschig werde. Ich goss also Abu Amir meinen Zuckertee über die Hose und ließ Ranya die Wogen glätten. Zum
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