Auschwitz
wie viele Juden, die aus den Lagern nach Osteuropa zurückkehrten, ähnliche Erfahrungen machten. Es existieren keine Statistiken über die Zahl derer, die um ihren Besitz betrogen wurden. Aber Walter Frieds und Linda Breders Geschichten legen nahe, daß es sich dabei um keine Einzelfälle handelte. In der Atmosphäre der Nachkriegsjahre, als die Bevölkerung versuchte, sich unter den neuen Machthabern einzurichten, hatte Gerechtigkeit gegenüber Juden, die die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt hatten, keinen hohen Stellenwert.
Toivi Blatt, der im Oktober 1943 aus Sobibór geflüchtet war, machte ebenfalls die Erfahrung, daß sein Leben nie wieder so sein würde wie früher. Als er nach der Revolte durch Polen reiste, sich vor den Deutschen versteckte und auf die heimische Bevölkerung angewiesen war, verweigerten ihm viele Polen ihre Hilfe, nicht aus Angst vor den Nationalsozialisten, sondern aufgrund ihrer Judenfeindlichkeit. Als schließlich ein Bauer ihm im Keller in einer seiner Scheunen Unterschlupf gewährte, geschah es nicht aus Nächstenliebe, sondern es handelte sich um eine rein geschäftliche Angelegenheit. Als der Krieg länger andauerte als erwartet, drang ein Verwandter des Bauern in Toivis Versteck ein und versuchte, ihn umzubringen. Nur weil er sich totstellte, überlebte er mit knapper Not.
Bei Kriegsende kehrte Toivi Blatt in seinen Heimatort Izbica zurück, mußte aber ebenso wie Linda Breder und Walter Fried feststellen, daß die jüdische Gemeinde nicht mehr existierte. Er versuchte, sich anderswo in Polen eine Existenz aufzubauen, scheiterte jedoch: »Den größten Teil meines Lebens habe ich in Polen verbracht«, sagt er, »[aber] ich habe immer noch das Gefühl, daß ich hier nicht hingehöre. Ich wollte heiraten, aber es gab da ein Problem: Wie würde sie reagieren, wenn sie erfuhr, daß ich Jude war? Die meisten sind nicht begeistert, das kann ich Ihnen sagen.« Nach seinen negativen Erfahrungen beschloß Toivi 1957, sein Heimatland zu verlassen, und emigrierte erst nach Israel und dann in die USA. Er meinte, auch bei der Kommunistischen Partei Polens Antisemitismus gespürt zu haben, die seiner Meinung nach die Juden als »fünfte Kolonne« des Westens ansah.
In Amerika gelang es Toivi Blatt schließlich, sich ein neues Leben aufzubauen, aber er hatte immer das Gefühl, daß ein Teil von ihm in Polen geblieben war. Und so besuchte er Izbica Anfang der 90er Jahre. Er kehrte in einen Ort zurück, in dem früher einmal 4000 Juden gelebt hatten und es jetzt keinen einzigen mehr gab. Ein katholischer Freund hatte ihm angeboten, daß er jederzeit bei ihm wohnen könne, aber als Toivi jetzt bei ihm auftauchte, war keine Rede mehr davon. Der »Freund« wies ihn ohne Begründung ab. Aber Toivi glaubte den Grund zu wissen: »Er wollte nicht, daß die Nachbarn erfuhren, daß er einen Juden bei sich übernachten ließ.«
Auch jene Polen, die ihm im Krieg geholfen hatten, zeigten ihm jetzt die kalte Schulter. Toivi gibt zu, daß es auch großzügige Polen gab, die ihn auf seinem langen Weg von Sobibór nach Izbica mit Essen versorgten und ihm Unterschlupf gewährten (und jüngste Untersuchungen bestätigen, daß in Warschau Tausende von mutigen Menschen ihr Leben riskierten 17 , aber statt jetzt stolz auf ihre damalige Tat zu sein, empfanden viele nur Scham. Als Toivi mit einem katholischen Priester durch ein Nachbardorf ging, zeigte er diesem das Haus von jemandem, der ihm im Krieg geholfen hatte. Er wollte auf das Haus zugehen, aber der Mann versteckte sich hinter der Gardine und wollte ihn nicht hereinlassen. Toivi wußte, warum: »Viele, die Juden versteckt hatten, wollten nicht, daß die Nachbarn davon erfuhren, weil sie dann sofort sagen würden: ›Der muß eine Menge Geld haben; schließlich hat er Juden versteckt.«
Wie weit Antisemitismus noch verbreitet ist, zeigt Toivis Erfahrung, als er sein ehemaliges Elternhaus in Izbica aufsuchte. Er klopfte an die Tür und bat den jetzigen Bewohner, ihn einzulassen, damit er sich in dem Haus, in dem er aufgewachsen war, in dem er sich vor den Deutschen versteckt hatte und in dem seine geliebten Eltern ihre letzten Tage vor der Deportation verbracht hatten, etwas umsehen könnte. Nachdem drei amerikanische Dollars den Besitzer gewechselt hatten, durfte er eintreten. Toivi fiel ein Stuhl im Wohnzimmer auf, und er bemerkte, daß er seinem Vater gehört hatte. »O nein«, erwiderte der Mann, »das ist unmöglich.« Toivi nahm den
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