Auschwitz
als ein Pole oder ein Slowake. Nicht, daß das Leben für alle Juden in Westeuropa ein Zuckerlecken gewesen wäre. Trotz der Arbeit des Joint Distribution Committee, einem bedeutenden jüdischen Hilfswerk, und der gemäß dem Luxemburger Abkommen geleisteten Wiedergutmachung der Bundesrepublik Deutschland an Israel in den 50er Jahren gingen viele Juden leer aus. Der Kampf um angemessene Entschädigung währt bis zum heutigen Tag.
Während das Schicksal vieler Opfer des Nationalsozialismus ungewiß war, wußten ihre Peiniger nach der Kapitulation Deutschlands genau, was sie erwartete: Strafverfolgung und Haft. Ebenso wie Rudolf Höß seine Vergangenheit zu beschönigen suchte, versuchte auch Oskar Gröning 20 , ein viel kleineres Rad im Getriebe, seinen Kopf zu retten. 1944 war sein Antrag auf Versetzung an die Front endlich genehmigt worden, und er wurde einer SS-Einheit zugeteilt, die in den Ardennen kämpfte. Nach seiner Verwundung und dem anschließenden Aufenthalt in einem Feldlazarett kehrte er zu seiner Einheit zurück, bevor sich diese am 10. Juni 1945 den Briten ergab. In der Gefangenschaft bekamen alle Häftlinge einen Fragebogen ausgehändigt. Gröning begriff, daß ihm die »Arbeit im Konzentrationslager Auschwitz negativ ausgelegt würde«, und so versuchte er, »die Aufmerksamkeit davon abzulenken«. Er schrieb, daß er im Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS in Berlin gearbeitet habe. Er empfand nicht etwa Schuldgefühle wegen der Geschehnisse in Auschwitz, sondern war davon überzeugt, daß »der Sieger immer im Recht ist und wir wußten, daß das, was dort [in Auschwitz] passiert war, nicht immer mit den Menschenrechten vereinbar war«. Gröning meint noch immer: »Meine Zeit als Kriegsgefangener war die Konsequenz meiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS, die hinterher zu einer kriminellen Organisation gemacht wurde. So fand ich heraus, daß ich in einer kriminellen Organisation mitgewirkt hatte, ohne daß ich mir bewußt war, ihr jemals beigetreten zu sein.«
Zusammen mit seinen Kameraden von der SS wurde er in einem ehemaligen Konzentrationslager der Nationalsozialisten untergebracht, wo es »nicht sehr angenehm war: die Rache der Sieger eben«. 1946 verlegte man ihn nach England, wo er sich wohler fühlte. Als Zwangsarbeiter führte er »kein schlechtes Leben«. Er bekam eine gute Verpflegung und verdiente sich auch ein Taschengeld. Er trat dem Chor des YMCA bei und tourte vier Monate lang durch die Midlands und Schottland. Er trug deutsche Kirchenlieder und alte englische Volksweisen wie »A Lover and His Lass« vor, und das Publikum war begeistert. Die Zuhörer rissen sich sogar darum, einen Deutschen bei sich aufzunehmen, ihm ein bequemes Bett zur Verfügung zu stellen und morgens ein kräftigendes Frühstück zu servieren.
Als er schließlich 1947 entlassen wurde und nach Deutschland zurückkehrte, verweigerte man ihm seine einstige Stelle in der Bank, weil er der SS angehört hatte. Er fand eine Anstellung in einer Glashütte und begann die Karriereleiter emporzuklettern. Er versuchte, seine Zeit in Auschwitz zu vergessen, und bestand darauf, daß auch seine Familie ihre Erinnerungen begrub. Einmal, kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland, saß er mit seinem Vater und seinen Schwiegereltern am Abendessenstisch, als diese »eine dumme Bemerkung über Auschwitz« machten, die implizierte, daß er zumindest »ein potentieller Mörder« war. »Da bin ich explodiert«, erzählt Gröning, »habe mit der Faust auf den Tisch gehauen und habe gesagt: ›Bitte, nehmt eins zur Kenntnis. Dieses Wort, und diese Beziehung, werden hier in meiner Gegenwart nie wieder erwähnt. Sonst zieh ich aus oder mach sonst irgend etwas!‹ Ich war ziemlich laut geworden, aber mein Wunsch wurde respektiert, und niemand verlor je wieder ein Wort darüber.« Die Familie Gröning richtete sich im Nachkriegsdeutschland ein und erntete die Früchte des deutschen »Wirtschaftswunders«.
Nach der Gründung des Staates Israel 1948 wurde eine gut organisierte und mit großzügigen finanziellen Mitteln ausgestattete Sondereinheit ins Leben gerufen, deren Aufgabe es war, deutsche Kriegsverbrecher aufzuspüren. Ihr spektakulärster Erfolg war die Festnahme Adolf Eichmanns 1960 in Argentinien, der nach Israel entführt und 1961 in Tel Aviv vor Gericht gestellt wurde. Moshe Tavor 21 gehörte zum Team, das Eichmann stellte. Obwohl er stolz auf diese aufsehenerregende Aktion ist, glaubt er, daß er mit der heimlichen »Rache«,
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