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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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die er in den Tagen und Monaten direkt nach dem Krieg übte, mehr erreichte.
    1941 trat Moshe Tavor im Alter von 20 Jahren in die britische Armee ein. Später diente er in der Jüdischen Brigade – eine Einheit aus 5000 jüdischen Soldaten unter Befehl von Brigadier Ernest Benjamin, einem kanadischstämmigen Juden. Ihr Abzeichen war der Davidstern – das Symbol der Nationalflagge Israels. 1940 waren die ersten Juden aus Palästina in die britische Armee eingegliedert worden, und 1942 hatte ein palästinensisch-jüdisches Regiment in Nordafrika gekämpft. Doch die britische Regierung, allen voran Neville Chamberlain, hatte sich jahrelang dagegen gesperrt, eine eigenständige jüdische Einheit aufzubauen. Da sich Winston Churchill dieser Idee gegenüber aufgeschlossener zeigte, wurde 1944 schließlich die Jüdische Brigade gebildet.
    Während ihres Einsatzes in Norditalien und auch unmittelbar nach Kriegsende erfuhren Moshe Tavor und seine Kameraden immer mehr über die Verbrechen, die die Deutschen an den Juden verübt hatten. »Wir waren wütend«, sagt er einfach. »Und viele von uns fanden, daß es nicht reichte, im Krieg mitzukämpfen.« Also überlegten Moshe Tavor und seine Kampfgefährten, wie sie an den Deutschen Vergeltung üben könnten. Zunächst nutzten sie ihre Kontakte zum militärischen Nachrichtendienst und zu verschiedenen jüdischen Organisationen und besorgten sich Namenslisten von Deutschen, die verdächtigt wurden, an der Ermordung von Juden beteiligt gewesen zu sein. Dann tarnten sie ihre Fahrzeuge, indem sie den Davidstern durch Abzeichen nichtjüdischer Einheiten ersetzten, und legten Armbinden der britischen Militärpolizei an. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, fuhren sie zum Haus des mutmaßlichen Täters und führten ihn zu einem »Verhör« ab. »Sie waren nicht sonderlich mißtrauisch«, erzählt Tavor. »Sie wußten ja nicht, daß wir zur Jüdischen Brigade gehörten, sondern hielten uns für britische Soldaten. Wir holten den Typ also ab, ohne daß er sich wehrte. Und von diesem Moment an war sein Schicksal besiegelt. Er sah sein Haus nicht wieder.«
    Moshe Tavor und seine Gefährten fuhren mit ihrem Gefangenen an einen einsamen Ort und »machten ihm den Prozeß«. Dann konfrontierten sie ihn mit den belastenden Informationen, die sie über ihn gesammelt hatten. »Manchmal gaben wir ihm auch die Gelegenheit, ein paar Worte zu sagen.« Und dann »erledigten« sie ihn – sowie jedes ihrer weiteren Opfer auch. Sie waren äußerst bedacht darauf, keinerlei Spuren zu hinterlassen – kein Blut, keine Leiche: »Unsere Methode war, ihn zu erdrosseln.« Tavor gesteht, daß auch er einen Deutschen erdrosselt hat: »Nicht, daß ich es gern getan hätte, aber ich habe es gemacht. Ich mußte mir nie vorher einen antrinken, um in Stimmung zu kommen. Ich war immer in Stimmung. Damit will ich nicht sagen, daß ich gleichgültig gewesen wäre, aber ich war völlig ruhig und gelassen und tat meine Arbeit. Vielleicht könnte man mich sogar mit den Deutschen vergleichen, die ja auch nur ihre Arbeit gemacht haben.« Nachdem sie ihr Opfer getötet hatten, beseitigten sie die Leiche: »Wir fuhren in eine Gegend, die wir uns vorher schon ausgesucht hatten. Wir banden etwas Schweres, ein Maschinenteil oder etwas Ähnliches, an seine Füße und schleiften ihn dann zum Fluß.«
    Moshe Tavor bereut es nicht, Deutsche auf diese Weise umgebracht zu haben: »Ich fühlte mich richtig gut dabei. Ich meine nicht den Moment des Tötens, sondern während dieser ganzen Zeit. Ich kann nicht behaupten, daß es mir heute leidtut. Sie können mir vorwerfen, daß ich Menschen umgebracht habe, aber ich weiß genau, wen ich getötet habe. Ich bin nicht stolz darauf, aber schuldig fühle ich mich auch nicht. Ich habe keine Alpträume oder so. Ich schlafe gut. Ich esse gern. Ich lebe.«
    Moshe Tavor weiß natürlich, daß er sich mit seiner Art, »Gerechtigkeit« zu üben, außerhalb von Recht und Gesetz stellte. »Ich hatte bis dahin in meinem Leben schon einige Sachen gemacht, die nicht ganz astrein waren«, gesteht er. Und natürlich muß man davon ausgehen, daß die »Beweise«, die er und seine Kameraden zusammengetragen hatten, bloße Verdächtigungen waren – Anschuldigungen, die kein ordentliches Gericht je geprüft hatte. Es ist daher möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, daß er an der Ermordung Unschuldiger beteiligt war. Aber er und seine Kampfgenossen empfanden eine solche Wut, daß sie dieses Risiko

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