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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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daran zu lebenslänglicher Verbannung in Sibirien verurteilt.
    Pavel Stenkin 14 , der allen Widrigkeiten zum Trotz Auschwitz überlebt hatte, erging es nicht anders. Er hatte zu den ersten 10 000 sowjetischen Gefangenen gehört, die im Oktober 1941 nach Auschwitz kamen, um das Lager Birkenau zu bauen. Im darauffolgenden Frühjahr, als nur wenige hundert noch übrig waren, gelang ihm die Flucht, und er schloß sich der vorrückenden Roten Armee an. Aber statt freudig begrüßt zu werden und mit den anderen kämpfen zu dürfen, wurde er wochenlang verhört; die Standardfrage seiner Peiniger lautete: »Wann sind Sie in die deutsche Armee eingetreten?« Er wurde ins Exil nach Perm, einem Sperrgebiet im Uralgebirge, geschickt, wo man ihn weiter verhörte: »Ich wurde jede Nacht geweckt: ›Gib das zu, stimm dem zu, wir wissen alles: Du bist ein Spion.‹ Sie quälten mich. Sie waren erbarmungslos.« Nach einigen Monaten, in denen er tagsüber arbeitete und nachts verhört wurde, verurteilte man Stenkin aufgrund einer erfundenen Straftat zu mehreren Jahren Haft. Der Zynismus des sowjetischen Rechtssystems wird daran deutlich, daß die Richter den Fall im Eiltempo verhandelten, weil sie für denselben Abend Theaterkarten hatten. Erst nach Stalins Tod, im Jahr 1953, wurde Stenkin entlassen: einer von über einer Million sowjetischen Soldaten, die zweimal inhaftiert wurden, erst von den Deutschen und dann von ihren eigenen Landsleuten.
    Pavel Stenkins und Tatiana Nanievas Erlebnisse sind vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie der einseitigen Sichtweise vieler im Westen etwas entgegensetzen. Für Generationen von Briten und Amerikanern bedeutete dieser Krieg einen Kampf der »Guten« gegen die »Bösen«. Zweifellos profitierte die Welt ungemein davon, daß die Nationalsozialisten besiegt wurden. Aber was sich nach dem Krieg abspielte, ist weniger einfach, als uns der Mythos glauben machen will. Nicht nur für die sowjetischen Gefangenen, die von der Roten Armee befreit wurden, gab es noch ein bitteres Nachspiel.
    Als sich das Ende des Kriegs abzeichnete, beging auch Stalin Verbrechen, die an die »Endlösung« der Nationalsozialisten erinnern. Ebenso wie Hitler verfolgte er ganze Volksgruppen. Fast 100 000 Kalmyken aus der Steppe südlich von Stalingrad wurden nach Sibirien deportiert, weil sie in den Augen des sowjetischen Diktators den Deutschen nicht genug Widerstand entgegengebracht hatten. Die Krimtartaren, die Tschechen und viele andere ethnische Minderheiten innerhalb der Sowjetunion mußten in den letzten Kriegstagen und nach Kriegsende dasselbe Schicksal erleiden. Niemand kennt die genaue Zahl der Sowjetbürger, die deportiert wurden, aber es sind gewiß mehr als eine Million. Im Gegensatz zu den Juden, die zu einem Großteil von den Nationalsozialisten ermordet wurden, durfte die überwiegende Mehrheit von ihnen nach Stalins Tod in ihre Heimat zurückkehren. Dennoch erduldeten sie schweres Leid, weil Stalin ganze Volksgruppen für die Vergehen einzelner büßen ließ.
    Im Mai 1945 tauschte Osteuropa einen grausamen Diktator gegen den nächsten ein, was viele Überlebende von Auschwitz, die in ihre Heimat zurückkehren wollten, zu spüren bekamen. Zunächst hatte Linda Breder 15 nur gute Erfahrungen mit der sowjetischen Besatzungsmacht gemacht. Schließlich waren sie es, die die Nationalsozialisten besiegt, die Lager befreit und die Massenvernichtung der Juden beendet hatten. Die Soldaten der Roten Armee, die sie am 5. Mai aus einem Lager nördlich von Berlin, wohin sie nach zweieinhalb Jahren in Auschwitz verlegt worden war, befreiten, waren »sehr freundlich« zu ihr und den anderen Häftlingen. Sie halfen ihnen bei der Beschaffung von neuen Kleidern, damit sie endlich die verhaßte gestreifte Häftlingskleidung ablegen konnten, indem sie sie zu einem deutschen Haus in der Nähe führten und sie aufforderten, sich zu bedienen. Die verängstigte Frau, die dort wohnte, schrie: »Keine SS! Keine SS!« als Linda und andere slowakische ehemalige Mitgefangene sie beiseite schoben und sich auf die Suche nach Kleidern machten. Als sie den Schrank öffneten, entdeckten sie mehrere SS-Uniformen: Zweifellos handelte es sich um die Ehefrau eines SS-Manns! Daraufhin »plünderten« sie das ganze Haus, warfen Federbetten und andere Besitztümer aus dem Fenster und nahmen alle Kleidungsstücke, die sie gebrauchen konnten, mit. Linda Breder beteuert, daß sie die Frau nicht anrührten, gibt aber zu, daß ein »kräftiges

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