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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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sorgten sie auch dafür, daß die Neuen die Spielregeln der Alteingesessenen befolgten.
    Diese Regeln waren tatsächlich zum Besten aller Beteiligten. Vor allem drängten die Grazianos darauf, daß die einzelnen Händler sich spezialisierten. So wie sie selbst nur Ferrari und die italienischen Fahrer betreuten, nicht ein einziges Jody-Scheckter- oder James-Hunt-T-Shirt in ihrem Sortiment hatten,
    sollten auch die anderen Händler sich auf ihre Spezialbereiche konzentrieren, um unnötige Konkurrenz zu vermeiden.
    Natürlich gab es Überschneidungen. So konnte ich mir als Österreicher nicht vorstellen, auf Niki-Lauda-T-Shirts zu verzichten, da Lauda aber Ferrari fuhr, bestand hier ein potentieller Konfliktherd zwischen den Grazianos und mir. Es wurde aber alles schon bei dem ersten Abendessen bereinigt, zu dem die Cousins mich in Spanien einluden. In ihrer Campingküche zauberten sie die köstlichsten Menüs und kochten damit die neuen Kollegen (meist in jeder Hinsicht verhungerte Gestalten wie ich) im Handumdrehen ein.
    Außerdem erklärten sie mir, daß sie nichts gegen meine Niki-Lauda-Waren einzuwenden hätten, sofern ich nicht weitere Ferrari-Utensilien vertrieb.
    Ich erinnere mich, daß ich vor Erleichterung darüber und vor Begeisterung über die besten Spaghetti, die ich jemals gegessen hatte, die Grazianos mit einem überflüssigen Kommentar ziemlich verwirrte.
    «Es wird also nicht so heiß gegessen wie gekocht», versuchte ich den Italienern auf englisch zu erklären, wie man die ganze Problematik auf deutsch zusammenfassen könnte, löste damit aber nur ein irritiertes Gelächter bei meinen Köchen aus.
    Tatsächlich stellten meine Industrie-T-Shirts keinerlei Konkurrenz für das unglaubliche Sortiment der Italiener dar. Neben einer Unzahl von Forza-Ferrari-Flaggen in unterschiedlichster Qualität (bis hin zu handgestickten Devotionalien) machten sie ihr Hauptgeschäft mit sündteuren Ölgemälden der damaligen Ferrari-Piloten Carlos Reutemann und Niki Lauda. Clay Regazzoni wurde gerade zum halben Preis verramscht.
    Die unausgesprochene Nummer-1-Position der Grazianos beruhte aber nicht nur auf ihrem originellen Sortiment und auf der Tatsache, daß sie am längsten von allen dabei waren. Auch nicht darauf, daß Liberante fast so ein prächtiges Wohnmobil
    fuhr wie Steve und der Finne. Sondern auf dem respekteinflößenden Wissen Liberantes über sämtliche Details, die die Formel 1 auch nur am Rande betrafen. Keiner von uns konnte mit ihm mithalten. Nicht einmal der Finne, der die besten persönlichen Kontakte in das Fahrerlager hatte.
    Bruno und Liberante Graziano waren zwar Cousins, hätten sich aber sowohl im Aussehen wie im Charakter nicht stärker unterscheiden können. Bruno schien sein blendendes Latin-Lover-Aussehen so eine Last zu sein, daß er immer mürrisch und leicht beleidigt aus seinen Edelkastanien blickte. Nur in Monza war er jedes Jahr wie verwandelt und strahlte, als könnte er sich endlich im Schatten all der anderen italienischen Schönheiten etwas ausruhen. Liberante dagegen war ein ausgemergeltes, glatzköpfiges Bürschchen mit faulen Zähnen, immer freundlich und charmant. Man sah ihn nur selten in Frauenbegleitung, obwohl er sich immer hingebungsvoll bemühte, seine Kundinnen mit irrwitzigen Formel-1-Statistiken um den Verstand zu reden.
    Nichts liebte Liberante mehr, als mit seinem unglaublichen Formel-1-Wissen zu brillieren. Ich weiß nicht mehr, was er an jenem ersten Abend in Spanien erzählte, doch ich werde nie vergessen, wovon Liberante Jahre später beim Grand Prix von San Marino 1993 plötzlich zu reden anfing. Es war die fröhlichste Zeit in der Formel 1, denn seit elf Jahren war kein Fahrer mehr gestorben. Aber diese harmlose kleine Geschichte Liberantes wurde viel heißer gegessen als gekocht. Denn mit ihr kehrte der Tod in die Formel 1 zurück.
Le Castellet
    «Wißt ihr eigentlich, daß David Purley mit dem Flugzeug abgestürzt ist?» fragte Liberante in der Nacht vor dem Grand Prix von San Marino in Imola 1993. Wie so oft standen wir noch nach Mitternacht vor unseren Wohnmobilen zusammen, besprachen die Trainingsergebnisse und schlossen unsere Wetten ab. Seit Silverstone 1989 (Prost-Mansell-Nannini) hatte keiner von uns mehr die Dreierwette erraten, und es lag schon ziemlich viel Geld in unserem Jackpot.
    «Wer ist David Purley?» fragte der TEXUNO-Chef, bekam aber keine Antwort. Der samt Absätzen kaum einen Meter sechzig große Geschäftsmann war vor drei Jahren mit

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