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Ausgebremst

Ausgebremst

Titel: Ausgebremst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Leben legt der Boß nicht selbst Hand an. Seine beiden Kapos erledigen die Dreckarbeit für ihn. Der Albaner hat bei einem Banküberfall einen Polizisten erschossen. Der zweite Kapo nennt sich Sir, ein Zuhälter, der ein paar von den Wärtern regelmäßig mit Prostituierten versorgt. Er hat bei einer Zuhälterfehde drei Konkurrenten aus dem Weg geräumt und ist dabei selbst angeschossen worden. Man mußte ihm den linken Unterschenkel amputieren. Deshalb hat er ein Recht auf Krücken, die im Gefängnisalltag sehr wichtig für den Sir sind. Wenn ein Häftling nicht spurt, hält ihn der Albaner fest, und der Sir drischt mit der Krücke so lange auf ihn ein, bis er nicht mehr nein sagen kann. In dieser Situation hilft nur Unterwerfung. Aber so schlimm ist das nicht. Denn auch im Leben außerhalb der Gefängnismauern hilft nur Unterwerfung, wenn man sich nichts vormacht. Und so ist es
    für mich hier nicht so schlimm, wie es für dich in deiner Vorstellung aussehen muß. Denn ich sitze ja mit Helm am Steuer, du aber hast schon bei vierzig Stundenkilometern den Fahrtwind im Gesicht und Mühe, dich am Überrollbügel festzuhalten. Und obwohl jede Einzelheit hier scheußlich ist, gibt es doch Momente, wo ich mich auf dem kalten Steinboden, mit dem entsetzlichen Metallklo, mit der nackten 40-Watt-Birne, mit dem Ausblick auf einen anderen Trakt des Gefängnisses (wenn ich mich auf die Pritsche stelle), mit den dummen Visagen der Wärter und Häftlinge auf eine seltsame Art wohl und aufgehoben fühle, die mir unverständlich ist. So wie es dir immer unverständlich war, daß man einen sonnigen Sonntagnachmittag vor dem Fernseher verbringen kann, um Autorennen zu schauen. Ich erinnere mich, wie du immer angewidert das singende Geräusch der Rennwagen imitiert hast. Für dich war es der Inbegriff stereotyper Dumpfheit. Du hast nie begriffen, daß es gerade darum ging.
Spa-Francorchamps
    Ich wollte Theresa nicht erzählen, wie die Kapos hier wüten. Es hätte sie nur erschreckt. Und wie ich mich dagegen wappne, hätte sie erst recht beunruhigt. In Wirklichkeit ist die Hierarchie hier komplizierter, als ich es Theresa darstellte.
    Der Sir und der Albaner sind Kapos, das war richtig. Es gibt allerdings noch mehr Kapos. Und die Hierarchie der Kapos untereinander ist umkämpft. So wie es auch in der Formel 1 um den sechsten Platz und einen einzigen WM-Punkt meist brutalere Duelle gibt als um den Sieg. Ganz zu schweigen von den irrwitzigen Rad-an-Rad-Kämpfen in der Formel 3.
    Diese Rangordnungskämpfe sind der Hauptgrund dafür, daß jeder Neuankömmling am ersten Tag so grausam gedemütigt werden muß. Wer sich von den Kapos durch besondere
    Grausamkeit auszeichnet, verbessert seine Position. Zumindest, soweit ich es bisher beurteilen kann. Ich bin ja erst vor fünf Monaten nach Stein verlegt worden. Das ist nicht viel länger, als der belgische Formel-1-Pilot Bertrand Gachot im Gefängnis von Brixton saß! Seine Verhaftung bedeutete 1991 die große Chance für einen unbekannten jungen Deutschen, sein erstes Formel-1-Rennen zu fahren. Michael Schumacher sprang in Spa-Francorchamps als Ersatzmann für den verhafteten Gachot ein, und so nahm seine Karriere ihren Lauf.
    Es stört mich nicht, daß Michael Schumacher in Folge eines Verbrechens in die Formel 1 kam. Aber es stört mich, daß ich deshalb fünfzehn Jahre im Gefängnis sitzen soll.
Zandvoort
    Als der Sir und der Albaner mir in der ersten Nacht auflauerten, zwang ich mich, nicht zu schreien. Manchmal macht es den alles entscheidenden Unterschied, ob man geschrien hat oder nicht. Darin bin ich mit David Purley vollkommen einer Meinung.
    Als der Sir und der Albaner mir in der ersten Nacht auflauerten, zwang ich mich, nicht zu schreien. Manchmal macht es den alles entscheidenden Unterschied, ob man geschrien hat oder nicht. Darin bin ich mit David Purley vollkommen einer Meinung.
    Der March-Pilot Purley versuchte 1973 in Zandvoort seinen Teamkollegen Roger Williamson aus seinem brennenden March zu befreien. Doch Roger Williamson verbrannte vor laufenden Kameras. Als das brennende und schwarz rauchende Wrack plötzlich das Fernsehbild beherrschte, sprang Theresa auf, um den Apparat auszuschalten. Ich schaltete aber sofort wieder ein, und Theresa stürmte angeekelt aus dem Zimmer. Oft muß ich daran denken, daß sich diese kleine häusliche Tragödie - vier Jahre bevor ich mich endgültig dem Formel-1-Zirkus anschloß - absolut zeitgleich mit dem Versterben des jungen Engländers in

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