Ausgebremst
Hill.
Interlagos
«Du hast wieder einmal alles falsch verstanden», rüffelte Bruno Graziano seinen gutmütigen Cousin Liberante. «Wenn Paul Newman sagt, drei kaputte Reifen an einem Wochenende können kein Zufall sein, dann meint er doch drei Reifenschäden, die unabhängig voneinander auftreten. Wenn er in die Mauer kracht und sich dabei alle vier Räder aufschlitzt, ist das überhaupt kein Zufall, sondern normal.»
«Bei den amerikanischen Rennfahrern weiß man allerdings nie», mischte sich Steve ein. «Denen traue ich es zu, daß sie sogar so etwas als Zufall betrachten!»
«Wenn man bedenkt, daß die in ihren Nudeltöpfen immer nur links herum fahren», schloß sich jetzt Liberante einfach der allgemeinen Amerikanerbeschimpfung an, als ginge es gar nicht gegen ihn. «Das ganze Leben keine Rechtskurve, das muß sich ja auf die Dauer einseitig auf das Gehirn auswirken.»
«Und dann halten sie es für einen komischen Zufall, wenn sie in die Mauer krachen und sich drei Reifen dabei aufschlitzen», sagte Steve, der ehemalige James-Hunt-Händler. Natürlich verachteten wir alle die Ami-Rennen für pensionierte Millionäre, aber bei Steve kam noch die typische Herablassung des Engländers gegenüber den Amerikanern dazu: «Und ihre abgestorbene Gehirnhälfte meldet sich zu Wort und sagt: Der erste Reifen ist eine Frage und der zweite eine Antwort. Und was war der dritte noch einmal?»
«Der dritte war die Antwort», wiederholte Liberante geduldig. «Der erste ist ein Zufall, der zweite eine Frage.»
«Und der dritte die Antwort!»
«Genau.»
«Dabei sollte er lieber sagen, der vierte ist ein Zufall», brummte jetzt wieder Liberantes stiller Cousin Bruno. «Wenn er in Indianapolis mit dreihundertzwanzig in die Mauer kracht, soll er sich lieber darüber wundern, daß nicht der vierte Reifen auch noch hin ist. Und daß ihm nicht die ganze Karre um die Ohren fliegt und die bessere Gehirnhälfte auch noch wegbügelt.»
«Paul Newman ist nicht in die Mauer gekracht!» betonte Liberante. «Er hatte am Freitag einen Reifenschaden, am Samstag wieder Reifenschaden und am Sonntag wieder Reifenschaden. Und vorher das ganze Jahr keinen Reifenschaden.»
«Jajaja», sagte der schöne Bruno herablassend zu seinem kahlköpfigen Cousin. «Bei Paul Newman war das vielleicht so. Solche Zufälle kann es schon geben.»
«Ich rede von Paul Newman.»
«Du redest nicht von Paul Newman», sagte Bruno.
«Woher willst du wissen, ob ich von Paul Newman rede oder nicht? Das habe doch wohl ich zu entscheiden, von wem ich rede!»
Steve warf mir einen Blick zu, weil die Diskussion allmählich ziemlich italienische Lautstärke annahm.
«Du redest davon», belehrte Bruno seinen Cousin, «daß man bei einer Serie von drei unwahrscheinlichen Ereignissen nicht mehr an einen Zufall oder Unfall glauben kann. David Purley, Tony Brise, Graham Hill. Davon redest du, oder?»
«Schön langsam begreifst du es», sagte Liberante.
«Und wenn ausgerechnet drei Formel-1-Piloten innerhalb kurzer Zeit mit dem Flugzeug abstürzen, dann ist das wirklich ein komischer Zufall. Man möchte ja glauben, Rennfahrer hätten genug andere Gelegenheiten, tödlich zu verunglücken.»
Ich staunte, daß der mürrische Bruno plötzlich soviel rede. Das tat er normalerweise im ganzen Jahr nur einmal, nämlich in Monza. Aber andererseits fand der Grand Prix von San Marino ja in Imola statt. San Marino war nur ein formaler Trick, um im rennbegeisterten Italien einen zweiten Grand Prix veranstalten zu können. Brunos Psyche fiel aber offenbar auf den juristischen Trick nicht herein und fühlte sich wie in Italien.
«Aber bei deiner Geschichte hast du keine solche Serie!» fuhr er fort. «Weil nämlich Graham Hill und Tony Brise in einem Flugzeug saßen. Und daß zwei Rennfahrer im Flugzeug sterben, wenn sie mit ein und demselben Flugzeug abstürzen, ist weder eine Frage noch eine Antwort und nicht einmal ein Zufall! Und wenn du dich darüber wunderst, dann bist du genauso intelligent wie irgendein amerikanischer Linksherumfahrer mit seiner gestauchten rechten Gehirnhälfte, der einen Zufall darin sieht, daß er drei aufgeschlitzte Reifen hat, nachdem er mit dreihundertzwanzig in die Mauer gekracht ist!»
Wenn ich Liberante in meiner Erinnerung mit seinem zerknitterten Gesicht grinsen sehe, muß ich automatisch an Vittorio Brambilla denken. Dabei hatte Liberante nicht die geringste Ähnlichkeit mit Vittorio Brambilla. Zwar hatte auch Brambilla nicht allzu viele Haare
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