Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
ich meinem Mann zu, der im aufrechten Gang in seinem neuen Armani Anzug voraus geht. Thea, die Frau des Hausherrn begrüßt uns mit einem warmen Händedruck. Sie ist vermutlich plus minus 10 Jahre in meinem Alter und trägt CHANEL. Die vielen Faceliftings und Botox Behandlungen lassen keine genaueren Schätzungen auf ihr tatsächliches Geburtsjahr zu. Paul sitzt in seinem Rollstuhl. Er lenkt ihn auf mich und schaut mich freundlich an. Ein mildes Lächeln empfängt auch Clara von ihm.
»Ihr seid also Tobias Mädchen. Ich hatte ja schon einmal einen kurzen Blick auf euch werfen können, aber jetzt bei näherer Betrachtung muss ich sagen, ihr seid noch viel hübscher als in meiner Erinnerung.« Da ist sie also. Pauls charmante Art, vor der Tobi mich so eindringlich gewarnt hatte.
»Vielen Dank für die Einladung.« Meine Ehrfurcht ist verschwunden. Ich begrüße Natascha mit einem Küsschen und werde Natalie und Marita vorgestellt. Marita ist mir auf Anhieb sympathisch. Sie ist flippig und unkonventionell und trägt eine Jeans Latzhose mit einem kurzärmeligem T Shirt, das den Blick auf ihre rot grünen Tattoos freigibt. »Bin ich hier die Einzige angeheiratete Martin? Wo ist deine Frau Timo? Und wo sind eure Kinder?«
»Christina konnte nicht kommen. Meine Mädchen reisen mit der Bahn an. Ich hole sie später vom Bahnhof ab.« Zum Smalltalk reicht die gute Seele des Hauses ein Tablett mit Schampus und Orangensaft. Ich nehme Saft. Thea bittet alle Gäste an der gedeckten Tafel Platz zu nehmen. In steifer Atmosphäre wird ein »Süppchen« gereicht. Die Gespräche verstummen. Claras lautes Schlürfen tadelt Tobias mit einem bösen Blick. Verunsichert legt sie den Löffel ab und rutscht auf dem Stuhl hin und her.
»Was zappelst du so? Hast du Hummeln im Hintern?«, fragt ihr Vater und bringt sie mit seiner Bloßstellung vor all den Fremden zum Weinen. Ich blicke Tobias erzürnt an. Was soll sein blödes Getue vor seinem Vater.
»Mir ist es lieber, sie hat Hummeln im Hintern als einen Stock im Arsch. Was soll dein arrogantes Gehabe?«, sage ich in die Totenstille. Marita bricht in lautes Lachen aus und Paul stimmt mit ein.
»Natascha hat mir schon von deinem Temperament berichtet. Du gefällst mir, Marie. Du nimmst kein Blatt vor den Mund.«
»Sag mal, Clara, kannst du auch so gut Klavier spielen wie dein Papa?« Clara schüttelt den Kopf. Auch ich bin ahnungslos. Tobi hatte schon als Fünfjähriger von Tante Berta Klavier und Geigenunterricht bekommen. Mit seinem Talent sollte er das Musikkonservatorium besuchen, aber dann kam alles anders. Auf Pauls Bitte, etwas zu spielen, ziert er sich.
»Ich habe schon seit Jahren kein Klavier mehr gespielt. Er blickt zum Flügel, der im Nebenzimmer steht und fragt: »Ist das mein alter Steinway?« Paul nickt.
»Er hat ihn dreißig Jahre gehütet wie einen Schatz. Genau wie deine Geige. Dein Vater hatte immer gehofft, dich darauf noch einmal spielen zu hören«, sagt Thea.
»Vielleicht später.« Timo und Marita spielen kein Instrument. Sie waren Sport Asse. Timo im Schwimmen und Marita als Leichtathletin. Allerdings auch nur in ihrer Jugend. Ich begleite meine Schwägerin auf eine Zigarette in den Garten.
»Timo hat mir erzählt, dass wir es dir zu verdanken haben, dass Tobias zugestimmt hat. Ohne das Erbe wäre ich ganz schön im Eimer gewesen. An Paul konnte ich mich unmöglich wieder wenden. Er hat mich in der Vergangenheit schon so oft unterstützt. Aber dank Berta habe ich jetzt ausgesorgt. Ich werde Leipzig verlassen und hierher an den Genfer See ziehen. Paul und Thea suchen schon ein Haus für mich und meine Kinder.« Ich schaue sie ungläubig an. Wenn Marita sich am Genfer See ein Haus leisten kann, ist das Erbe wohl wirklich recht üppig. Ich habe Tobias noch gar nicht gefragt, was und wie viel er bekommen hat. Timo gesellt sich dazu. Die Art, wie er mich anlächelt, ist unbeschreiblich.
»Ihr seht euch so ähnlich. Ich kann mich gar nicht satt sehen.«
»Ich bin der Schönere. Tobias ist der Reichere, denn er hat dich!« Ich verstehe nicht. Marita legt den Arm um ihren Bruder.
»Christina ist vor sechs Wochen ausgezogen. Sie hat Timo verlassen.«
»Ja, sie hatte mich oft genug gewarnt. Es waren die vielen Geschäftsreisen. Sie war es leid ständig allein zu Hause zu sitzen und darauf zu warten, dass ich nach Hause komme.«
»Selbst schuld! Euch Männern wird immer erst klar, dass
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