Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Handschlag. Die verspannte Körperhaltung meines Mannes löst sich nach dem zweiten Kaffee. Nach seinem ersten Lachen stoße ich dazu.
»Timo begleitet mich nach Sainte Maxime. Er hilft mir beim Anbringen der Trockenbauwände. Ich habe ihm angeboten, für diese Nacht unser Gästezimmer zu bewohnen. Es ist dir doch recht, oder?« Ich nicke erfreut und biete an, für die zwei schönsten Männer im Ort ein leckeres Essen zu kochen. Gut gelaunt treffen die Brüder am Abend ein. Ich zeige Timo das Gästezimmer und flüstere ihm leise zu: »Habt ihr euch aussprechen können?«
»Es war ein schöner Tag mit meinem kleinen Bruder. Nur über Paul durfte ich nicht reden. Das war seine Bedingung.« Timo erzählt, dass er seit sechsundzwanzig Jahren mit Christina verheiratet ist. Er hat zwei Töchter, die ihn schon zum doppelten Großvater gemacht haben. Er zeigt Fotos von seinem Haus und seiner Familie. Auf die Frage, was er beruflich macht, antwortet er nur zögerlich.
»Ich bin Geschäftsführer einer internationalen Spedition.« Tobias weiß sofort, welcher Firma er vorsteht und lässt keine weiteren Nachfragen zu. Er erzählt Timo, wie er mich kennen gelernt hat und demonstriert seinem Bruder mit ständigen Blicken und Küssen, dass ich das Glück seines Lebens bin. Die Lebenssituation von Marita ist weniger glücklich. Sie hat drei Kinder von drei Männern, die sich weigern, sich am Lebensunterhalt ihrer Söhne zu beteiligen. Sie arbeitet als Friseurin. Ganztags zu einem Hungerlohn. Die Eigentumswohnung, die ihr von einem Mann, dessen Namen nicht genannt werden darf, vor vielen Jahren bezahlt wurde, ist bereits haushoch beliehen und steht kurz vor der Zwangsversteigerung.
»Sie braucht das Geld aus Bertas Erbschaft wirklich dringend. Wenn es einen Verlierer unter uns Geschwistern gibt, dann ist es Marita.« Tobias erhebt sich vom Tisch und bringt Clara ins Bett. Nach einer halben Stunde kommt er mit einer Flasche Cognac an den Tisch zurück.
»Timo ich freue mich, dass wir uns nach so vielen Jahren kennenlernen. Du bist mein Bruder. Das ist nicht zu übersehen. Aber wir können die Zeit nicht zurück drehen. Ich will das auch nicht. Wenn du dir deine verkorkste Kindheit mit einem Job als Geschäftsführer abkaufen lässt, dann ist es dein Bier. Ich werde es Paul nie verzeihen, was er uns als Familie angetan hat.«
»Du hast deine Kindheit doch nicht im Heim verbracht. Das waren doch Marita und ich. Dich hat er doch rechtzeitig gerettet.« Tobias will aufstehen, aber ich halte ihn zurück. Er soll nun endlich erfahren, wie es sich aus der Sicht seines Vaters tatsächlich abgespielt hat.
»Unsere Mutter arbeitete für die Messe in Leipzig, als sie sich in Paul verliebte. Sie hatte bereits, seit sie mit mir schwanger war, mehrere Ausreiseanträge gestellt. Zusammen wollten sie in Lübeck leben. Dass wir beide einen »Wessi Vater« hatten, verschwieg sie. In unseren DDR Papieren stand Vater unbekannt. Das allein genügte damals, um einer unverheirateten Frau, die Kinder wegzunehmen. Als Mutter mit Marita schwanger wurde, planten sie die gemeinsame Flucht. Ihre Absichten sickerten aber durch. Am Tag der geplanten Abreise wurde sie verhaftet. Zeitgleich wurde ich aus dem Kindergarten abgeholt. Nur weil du an dem Tag Fiber hattest, warst du bei einer Nachbarin. Paul hat dich in letzter Minute geschnappt. Statt zusammen mit uns dreien ist er allein mit dir im Container über die Grenze. Danach bekam er Einreiseverbot. Über das Auswärtige Amt hatte er jahrelang um uns gekämpft. Ich kenne die Akten. Du solltest sie auch endlich lesen.« Ich trinke einen doppelten Cognac und lasse die Männer allein am Tisch zurück. Diese Familiengeschichte ist so unglaublich, dass ich kein Auge zu machen kann.
Mit den Worten »Danke Marie«, verabschiedet Timo sich. Es ist ihm gelungen, Tobias umzustimmen. Die Geschwister wollen kurzfristig einen Termin beim zuständigen Notar vereinbaren, um gemeinsam mit Paul noch rechtzeitig die erforderliche Erklärung zu unterzeichnen. Das Rote Kreuz soll also leer ausgehen. Blut ist eben doch dicker als Wasser, denke ich und bin froh, dass Tobi sich seinem Vater endlich stellen will. Er reist allein nach Lübeck und bleibt zwei Tage. Ich kann seine Rückkehr kaum erwarten und bin bereits eine Stunde vor seinem Eintreffen am Flughafen.
»Neben dir sitzt jetzt eine richtig gute Partie. Ich habe reichlich Schotter geerbt. Du wirst mir künftig die jungen
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