Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Schon mittags kommt seine Antwort. Sein »Ja, sehr gerne und vielen Dank«, trägt fünf grinsende Smilies. Die Personalfrage für das Mató Nummer Eins ist an einem Vormittag gelöst. Das Projekt Cannes wird Wochen in Anspruch nehmen. Mir ist es schwer ums Herz und ich muss meinen Frust und meine Enttäuschung über Tobias wahnwitzigen Alleingang unbedingt mit Sarah bequatschen. Ich fahre zum Salon und klage meiner Freundin mein Leid.
»Du hast keinen Beamten geheiratet. Du liebtest das aufregende Leben an seiner Seite doch immer so. Keine Lust mehr auf Abenteuer? Wirst du alt, Marie?«
»Ich bin alt. Aber du hast noch mehr Jahre auf deinem runden Buckel.«
»Gerade wollte ich dir meine Unterstützung für die Nummer Eins anbieten, aber wenn du mir so kommst? Nein, im Ernst, ob ich hier während der Öffnungszeiten bei Claire auf dem Sofa sitze oder für dich den Verkauf im Laden übernehme, macht für mich keinen großen Unterschied. Ich helfe dir gern.« Sarah ist eine tolle Freundin. Auf sie ist seit Jahren Verlass. René soll nun auch erfahren, dass ich meine Verkaufsabsichten aufgeschoben habe. Ich gehe zu ihm in die Küche und berichte von meiner jüngsten Entscheidung.
»Du bleibst der arbeitenden Klasse erhalten. Nichts anderes habe ich von dir erwartet. Du bist nicht der Typ einer abgehobenen Millionärsgattin. Schön, dass du dich nicht verändert hast!« Ich verstehe die spitze Bemerkung sofort. Unser guter Freund René hat also auch bemerkt, dass Tobi nicht mehr der Alte ist.
Bis auf Claudine und Annabelle hat mein Mann nach meiner Meinung nur Pfeifen eingestellt. Ich schule in die leeren Köpfe der neuen Mitarbeiter bereits in der zweiten Woche. Sofort nachdem ich Clara in die Schule bringe, fahre ich nach Cannes und verlasse den SPA Tempel meines Mannes wieder rechtzeitig, um pünktlich vor der Schule zu stehen. Den Vorschlag, sein schnelleres Auto zu nehmen, lehne ich mit hochgezogenen Augenbrauen ab.
»Meine Ente fährt! Wenn ich sie irgendwann schieben muss, sage ich dir Bescheid.« Oft nehme ich das Mittagessen mit der Kleinen bei René ein. Die eingesparte Zeit nutze ich, um mit Clara Hausaufgaben zu machen und mich um die Ausarbeitung der Behandlungsprogramme und Schulungsunterlagen zu kümmern. Tobi kommt nie vor elf Uhr abends heim. Er findet das Haus meist dunkel vor und seine Mädchen schlafen schon fest. Bei einem gemeinsamen Frühstück präsentiert er stolz die neue Kluft seiner »Mató Girls«. Er hat knappe bordeaux farbige Shorts und enge Poloshirts ausgewählt. Die Schuhfrage dürfen sie selbst bestimmen.
»Du redest wie ein Nachtclub Betreiber. Hörst du dir eigentlich selber noch mal zu, Herr Armani?«
»Sollen die Mädchen deiner Meinung nach eine Burka tragen, damit du keinen Grund zur Eifersucht hast?«
»Was sie tragen ist mir völlig egal. Ich kann dein Gequatsche nicht mehr länger ertragen. Schon wie du da stehst in deinem Konfirmandenanzug, lässig mit einer Hand in der Hosentasche. Dein neuer Tonfall und deine überhebliche Art zu blicken. Ich denke, ich habe Clausen vor mir stehen.« Ich trinke meinen Kaffee auf der Terrasse. Den eisigen Wind ziehe ich der Gesellschaft meines Mannes vor. Clara will den Grund der schlechten Stimmung wissen. Ich erkläre ihr, dass es nur mit dem Stress und der vielen Arbeit für Papas neues Geschäft zu tun hat. Nach der Eröffnung wird alles wieder so werden wie es war. Zumindest Clara glaubt daran.
Am Abend vor der Eröffnung kommt Tobias aufgekratzt nach Hause. Ich habe im Wohnzimmer auf ihn gewartet. Er küsst mich freudestrahlend auf den Mund und ich rieche sogleich seine Fahne, die ihm vorauseilt.
»Ich habe der Mannschaft heute noch einen ausgegeben. Ab morgen wird es ernst, Marie. Kein Probelauf mehr. Ab morgen machen wir Kasse. Wir fahren doch zusammen, oder? Ich denke, Clara kann ruhig einmal die Schule schwänzen.«
»Bist du in diesem angetrunkenen Zustand selber mit dem Auto gefahren?«
»Ich hatte nur zwei, drei Glas Schampus über den Tag verteilt.«
»Du bist blau und hättest besser in deinem Appartement übernachtet!«
»Dann wäre dir das hier heute Abend entgangen.«
»Einen Fick von einem Besoffenen kann ich um diese Uhrzeit an jeder Ecke bekommen. Dafür hättest du dich nicht extra bemühen müssen. Lass die Finger von mir und gehe ins Bett!«
»Was ist mit dir los? Warum redest du seit Tagen so mit mir?«
»Ich denke, du
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