Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
kennst jeden Gedanken, der mich quält. Das hattest du doch Steffen vollmundig gegenüber all unseren Freunden verkündet. Also, warum fragst du?« Ich hole meine Bettdecke aus dem Schlafzimmer und lege mich aufs Sofa.
Clara schwänzt nicht, sondern wird pünktlich von mir zur Schule gebracht. Nach Unterrichtende werde ich mit ihr nach Cannes fahren. Den Vormittag verbringe ich bei Claire und lasse mir die Haare schneiden. Ich klöne noch eine Runde mit Jean bis ich mich auf den Weg mache. Die drei Parkplätze in der Tiefgarage sind belegt und ich suche entlang des Boulevard de la Croisette nach einer Abstellmöglich für meinen Wagen. Claudine und eine junge Kollegin, deren Namen ich nicht kenne, stehen hinter dem Tresen.
»Na, wie ist es bisher gelaufen?«
»Der Verkauf von Pflegeprodukten geht besser als die Behandlungen. Aber es ist ja noch früh. Ich könnte ein wenig mehr Wechselgeld gebrauchen. Würden Sie Ihren Mann noch einmal darum bitten? Er ist oben und wollte mir Silbergeld holen.« Ich fahre allein in den dritten Stock, während Clara sich von der unbekannten Tresenhilfe Papas neues Reich zeigen lässt. Mit meinem Schlüssel öffne ich die Tür und trete leise und unbemerkt in das Büro, wo ich Tobi und eines seiner Mädchen antreffe. Sie trägt keinen bordeaux farbigen Short, sondern einen weißen Spitzen Tanga und liegt mit gespreizten Beinen auf seinem Schreibtisch. Was Tobias mit seinen Händen zwischen ihren Schenkeln sucht, ist mit Sicherheit kein Kleingeld.
»Na, wie lieb hat sie dich? Tut mir leid, dass ich deine Flüsterspiele unterbrechen muss, aber unten wird Wechselgeld gebraucht.« Ich wundere mich selbst darüber, dass ich in diesem Moment in der Lage bin, überhaupt einen Ton herauszubringen. Ich steige in den Fahrstuhl und suche aufgebracht nach Clara im Erdgeschoss. Tobi folgt mir wenige Augenblicke später. Als er Clara erblickt, will er sie umarmen, aber ich reiße sie von ihm los.
»Wasch dir erst die Hände!« Mit dem Kind an der Hand laufe ich zurück zum Wagen. Ich erkläre unseren übereilten Aufbruch damit, dass wir vergessen haben, mit Balou spazieren zu gehen. »Der arme Hund muss bestimmt ganz dringend raus.«
Clara übernimmt den Spaziergang und ich packe neun Armani Anzüge und diverse Hemden, Schuhe und Krawatten in Koffer und Kartons. Als ich seine Toilettenartikel in einen Kulturbeutel stecke, steht Tobias dicht hinter mir im Bad.
»Was machst du da?«
»Ich habe dir bereits alles gepackt. Du brauchst nur deine Sachen zu nehmen. Hau ab, bitte!«
»Ich werde nicht gehen. Die Zeiten in denen du mich für die Tür setzen konntest sind vorbei. Mir gehört die Hälfte des Hauses. Ich bleibe und du beruhigst dich erst einmal.«
»Ich bin ganz ruhig. Soweit ist es mit uns gekommen. Dass mich der Anblick, wie du eine andere Frau fingerst noch nicht einmal mehr aus der Fassung bringt.« Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Nähe zu ihm kann ich nicht länger ertragen.
»Warum gehst du nicht? Du hast die kleine Wohnung in Cannes. Clara und ich bleiben hier. Das ist doch die einfachste Lösung.«
»Ich werde nicht von euch weggehen. Ihr seid meine Familie.«
»Begreif es doch endlich. Es ist vorbei! Ich liebe dich nicht mehr.« Ich nehme das Herz, das er mir zu Weihnachten geschenkt hat in die Hand und werfe es auf den harten Terracotta Boden. Es zerspringt genau vor seinen Füßen in zwei Teile.
»Brauchst du noch mehr Symbolik?« Aus dem Fenster sehe ich Clara kommen. Sie ist nur noch wenige Meter vom Haus entfernt. Für eine abschließende Diskussion ist nicht mehr genügend Zeit. So entscheide ich, selbst zu gehen.
»Früher hätte ich für dieses Zuhause alles getan. Ab heute bedeutet es mir nichts mehr. Es sollte dir ja nicht schwer fallen, mich auszuzahlen. Werde glücklich hier, aber ohne mich.« Ich werfe seine teuren Anzüge auf den Boden und fülle die Koffer mit meinen wichtigsten Sachen. Wortlos gehe ich an Tobias und Clara vorbei und fahre in den Ort.
Nummer Eins ist noch geöffnet und René bedient selbst auf der wenig gefüllten Terrasse. Ich gehe auf ihn zu und lasse mich umarmen. Erst in seiner Küche fließen die ersten Tränen. Er gibt mir seinen Schlüssel für die Wohnung, die er über dem Restaurant bewohnt. Ich schleppe meine beiden Koffer die Treppe hinauf und betrete nach acht Jahren fester Freundschaft das erste Mal seine Privaträume. Bunt, chaotisch, französisch, eben typisch
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