Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Hundeleine hängt nicht an der Garderobe und sein Trinknapf ist leer und trocken. Wo ist mein Hund? Hat Steffen ihn mit zu Christian genommen? Ich setze mich an den Esstisch und denke traurig daran, wie oft dort lange und lustig im Kreise der kleinen Dreierfamilie gespeist wurde. An diesem Tisch machte Frederik früher seine Hausaufgaben. Hier lernten die Enkel Loris und Jasper, mit dem Löffel zu essen. An diesem Platz malten sie ihre ersten Bilder. Ich streiche zärtlich über die massive Tischplatte und fange an zu flennen. Dieses Haus steckt voller Erinnerungen. Schöner Erinnerungen! Aber die Geschehnisse der letzten Zeit machen es mir unmöglich, hier weiter zu wohnen. Ich sauge Staub, putze die Bäder und poliere die Arbeitsplatte der Küche blank. Danach lege ich einen Zettel auf den Küchentresen.
Am Samstag finden hier von 10.00 bis 13.00 Uhr Besichtigungen statt. Ich habe alles geputzt.
Mit einer gepackten Tasche verlasse ich mein altes Zuhause. Mein Weg führt über die Elbbrücken in Richtung City und ich bin gespannt auf das Treffen mit Norbert Kaltenbach. Er hat sich schon einen Kaffee und ein Wasser bestellt und ich entscheide mich für das gleiche Gedeck. Kaltenbach beginnt mit einer Entschuldigung.
»Wenn ich geahnt hätte, wie sehr Sie auf diese Nachricht reagieren, hätte ich Ihnen das im Flieger nie so gesagt. Sie waren wirklich ahnungslos?«
»Komplett ahnungslos! Herr Kaltenbach, bitte sagen Sie mir, wie lange geht das Verhältnis schon.«
»Haben Sie denn noch nicht mit ihrem Mann gesprochen?«
»Ich bevorzuge es, in Freiheit zu altern. Ein Zusammentreffen mit ihm, hätte für ihn und für mich schwerwiegende Folgen.« Kaltenbach lacht und fragt, ob wir nicht mit dem albernen Sie aufhören wollen.
»Warum nicht, schließlich waren wir jahrelang Nachbarn.« Norbert erzählt davon, dass seine Frau Elke schon lange mit ihrem Leben und ihrer Ehe unzufrieden war. Vor Steffen hatte sie schon zahlreiche Affären. Aber wegen der Kinder rauften sie sich immer wieder zusammen. Nachdem sie mit meinem Mann in flagranti erwischt wurde, wollte auch Elke die Scheidung. Das war im Oktober letzten Jahres.
»Sie will sich wegen Steffen von dir scheiden lassen?«
»Nein, bestimmt nicht. Irgendwann muss man sich einfach eingestehen, dass da nichts mehr ist, was zu kitten ist. Steffen war doch nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Mittlerweile soll sie schon wieder einen neuen Lover haben.« Diese graue Maus, soll ein Vamp mit zahlreichen Affären sein? Das kann ich kaum glauben.
»Es ist doch verwunderlich, dass die Ehen heutzutage nicht mehr lange halten. In meinem Bekanntenkreis sind alle Paare geschieden. Bei den meisten Trennungen ist ein neuer Partner der Anlass. Vorwiegend sind es die Männer, die eine Neue haben.«
»Ja, genau wie bei uns.«
»Du denkst ernsthaft über Scheidung nach?«
»Na, du doch auch!«
»Bei uns liegt der Fall doch ganz anders. Ich habe Elke allein nicht genügt. Den ersten und zweiten Seitensprung konnte ich ihr noch verzeihen. Aber es hörte nicht auf. Ich musste hier die Notbremse ziehen, das war ich mir selber schuldig. Und mit Steffen war das Maß eben voll.«
»Meine Toleranzgrenze liegt deutlich tiefer. Ich bin nicht bereit, Steffen zu verzeihen.« Ich bin fest entschlossen.
»Glaubst du tatsächlich daran, dass man sich ein Leben lang treu sein kann? Meinst du, dass sich die Paare der Generation unserer Eltern und Großeltern nie betrogen haben?« Doch, das haben sie sich auch. Ellen trennte sich deshalb von meinem Vater. Mit dem treuen Peter Habicht führte sie dann viele Jahre eine glückliche Ehe. Hanna hält durch, obwohl Karl hinter jedem Rock her war. Und wo steht sie nun? Sie lebt an der Seite eines lieblosen Stinkstiefels, der ihr jeden Tag auf den Geist geht.
»Es gibt eben kein Patentrezept.« Norbert Kaltenbach übernimmt die Rechnung.
»Ich habe Jahre lang neben einer so netten Frau gewohnt. Eigentlich schade, dass wir uns jetzt erst kennen lernen.« Das Gespräch mit Norbert bekommt mir richtig gut. Es wird doch irgendwo noch einen Peter Habicht für mich geben. Mit vierundvierzig fühle ich mich noch jung genug, um nach ihm zu suchen.
Sophie hat Tee gekocht.
»Ich bin beeindruckt.« lobe ich meine Schwester, nachdem ich mich vergewissert habe, dass wirklich nur Zucker enthalten ist. Ich erzähle von meiner Begegnung mit Norbert.
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