Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
»Seit Lars und du euch immer treu gewesen?«
»Nein.« Es ist ihr unangenehm, darüber zu sprechen. Aber ich lasse nicht locker.
»Das liegt schon lange zurück. Nach den ersten zehn Jahren, als wir uns immer noch ein Kind wünschten und es nie klappen wollte, schlidderten wir in eine große Ehekrise. In dieser Phase, waren wir beide nicht treu und dachten ernsthaft darüber nach, uns zu trennen. Erst als wir uns damit abgefunden hatten, niemals eigene Kinder zu haben, hörte das auf.«
»Davon habe ich nie etwas mitbekommen.«
»Das war auch unsere Privatsache und ging niemanden etwas an.«
»Dann waren Mama und Peter das einzige Paar, das sich immer treu war.«
»Peter und treu? Das ich nicht lache. Der hat doch alle Frauen im Golfclub angegraben.«
»Aber Mama hat doch gesagt...« Sophie unterbricht mich.
»Mama hat immer nur das gesehen, was sie sehen wollte. Wach endlich auf Marie! Das was dir passiert ist, ist nicht schön, bestimmt nicht. Aber es ist auch nicht der Weltuntergang. Wenn Steffen nach sechsundzwanzig Jahren das erste Mal fremd gegangen ist, dann bist du doch noch gut dran. Was würde ich darum geben, nur noch ein wenig mehr Zeit mit Lars verbringen zu können. Ich habe es aber nicht in der Hand. Du schon! Entweder, du entscheidest dich dafür, deine Ehe fortzuführen oder du handelst wie ein beleidigter Teenager und machst Schluss!« Das war mal ein Einlauf, denke ich.
Es ist Freitag und statt wie gewöhnlich um sieben aufzustehen, stehe ich schon um sechs Uhr auf. Ich durchforste meinen Kleiderschrank und mache mir Gedanken über die passende Garderobe. Ich verteile viel zu viel Festiger in die nassen Haare und mühe mich vergeblich mit dem Stroh auf meinem Kopf ab. An diesem Tag will ich besonders nett aussehen. Aber das ist gründlich misslungen.
»Warum bist du so aufgeregt. Das kenne ich gar nicht von dir. Ich denke, es kommt eine Frau vom TV Shopping Sender. Für die brauchst du dich doch nicht so aufzuschmücken.«
»Schwesterchen, du hast null Ahnung. Gerade weil eine Frau meine Gesprächs- und Verhandlungspartnerin sein wird, ist oberste Perfektion geboten. Ein Mann sieht nur, oh die hat ja schöne rote Lippen. Eine Frau denkt, was hat die denn für einen grellen Lippenstift genommen. Der passt ja gar nicht zur Bluse. So läuft das unter Frauen.« Damit kenne ich mich aus.
Maike verteilt die aktuellen Musterkollektionen auf die kubischen Säulen. Frau Schäfermann, Mitte dreißig, sportlicher Typ stellt sich freundlich am Empfang vor.
»Schön, das sie da sind, ich sage Frau Simon sofort Bescheid.« Nach der Vorstellung der einzelnen Pflegeserien, kommt sie gleich zur Sache.
»Ich würde gern mit der Kirschölserie beginnen. Ich denke, dass wir mit dem Gelee, der Butter, der Balm und einem Duschprodukt starten sollten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Ihre Serien den Geschmack unserer Zuschauer treffen werden. Sie sind eine so aufgeschlossene und sympathische Person. Es wird Ihnen im Nu gelingen, das Herz unserer Zuschauer zu erobern.«
»Wie bitte? Was hab ich denn mit den Zuschauern zu tun?«
»Na, Sie präsentieren die Pflege zusammen mit unserem Moderator.«
»Ich soll ins Fernsehen? Vor die Kamera?«
»Ja, na sicher. Sie repräsentieren genau die Zielgruppe, die wir ansprechen. Frau mittleren Alters. Ehefrau, Mutter und sogar schon Großmutter, wie ich sehe.« Frau Schäfermann blickt auf die Fotos auf dem Schreibtisch. Bin ich dann die WAHNSINNIGE oder die blau angelaufene Gerda, frage ich mich.
»Sie sehen doch ganz passabel aus und als Entwicklerin bringen Sie das nötige Knowhow mit, um den fachlichen Part während der Show zu übernehmen. Einen besseren Experten kann ich mir nicht vorstellen. Lassen Sie mich mal schauen, wann wir Sie zum nächsten Casting einladen können.«
»Ich soll zum Casting?«
»Das ist reine Formsache. Sie machen das schon.« Frau Schäfermann hinterlässt noch eine dicke Mappe mit Informationen zur Vertragsgestaltung und zu den Zahlungs- und Lieferbedingen. Sie verspricht gleich Anfang der neuen Woche anzurufen und entschwindet in Richtung Bahnhof. Ich bin nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Das ist wohl ein Witz oder sollte es tatsächlich ein ernstgemeintes Angebot sein? Aufgeregt greife ich zum Telefon. Ich will meiner Schwester unbedingt sofort davon erzählen. Aber sie meldet sich nicht. Weder zu
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