Ausgefressen
nach meinem Tod zu machen.«
Phil legt den Gang ein. Ich meine, ein Schmunzeln zu sehen. »Soll ich dich irgendwo absetzen?«, fragt er.
»Ich gehe nicht mehr zurück.«
»Gut«, erwidert er. Und weil er mich inzwischen gut genug kennt, um zu wissen, dass ich mir eher die Zunge abbeißen würde, als ihn zu fragen, was er damit meint, lächelt er und fügt hinzu: »Dann können wir ja die Identität von drei Leichen klären.«
»Wie meinst ’n das?«
»Herausfinden, wer die drei alten Herren waren, die ihr ausgebuddelt habt. Nennt man Nachforschungen. Gehört zum Tagesgeschäft eines Schnüfflers.«
»Du und ich?«
»Wir beide.«
»Ich als dein Angestellter?«
»Ich dachte eher an eine Partnerschaft.«
Ich überlege. Ein abgehalfterter, versoffener Schnüffler und ein lebensmüdes Erdmännchen. Klingt nach einem echten Dream-Team. »Na, dann lass mal sehen, was deine Blechschüssel so unter der Haube hat.«
Kapitel 12
Wer glaubt, in Phils Auto rieche es schlecht, der wird sich beim Betreten des »Senioren-Wohnparks Blumengarten« wünschen, zwischen den muffigen Rosshaar-Sitzpolstern seines altersschwachen Volvos wohnen zu dürfen. Dabei ist mir von der vielen Kurverei ohnehin schon übel. Die Fahrt hat ewig gedauert. Allerdings habe ich durch meinen Fensterausschnitt ein paar abgefahrene Sachen gesehen: Weite, Raum, mehr Menschen als irgendjemand zählen kann, Autos, tausendfach. Und trotzdem ein Gefühl wie Savanne. Jetzt sind wir in Lichtenberg, sitzen im Büro der Heimleiterin Susanne Hirschmann, und ich versuche alles, um mich nicht in Phils Umhängetasche zu übergeben.
Phil hat die Tasche auf den Stuhl neben sich gestellt, damit ich durch den Spalt an der Seite Frau Hirschmann und ihren schlecht gefärbten Haaransatz beobachten und das Gespräch verfolgen kann. Sie sieht unglaublich müde aus. Alles an ihrem Gesicht will irgendwie nach unten. Als könne sie es kaum erwarten, endlich selbst eines ihrer Zimmer beziehen zu dürfen und sich nicht länger mit dem Papierkram herumschlagen zu müssen, der die Ablagen auf ihrem Schreibtisch in die Knie zwingt.
Derweil läuft mein Gehirn Amok. Seit sich die gläsernen Eingangstüren des Heims hinter uns zusammengeschoben haben, befinden wir uns auf einem olfaktorischen Kriegsschauplatz. Desinfektionsmittel, die einem die Gehirnwindungen ausfräsen, Düfte, die sie einem verkleben. Von dem Rest will ich gar nicht reden. Unter »Blumengarten« hab ich mir ganz klar etwas anderes vorgestellt. Ich nehme an, wenn ein Mensch simulieren wollte, was sich gerade in meinem Kopf abspielt, müsste er zwölf unterschiedliche Drogen auf einmal schlucken.
»Jürgen Becker«, sagt Frau Hirschmann mit einer Verbindlichkeit und Anteilnahme, die alles an ihr auf den Kopf stellt. Ihre Stimme ist die eines kleinen Mädchens mit rosa Blumenkleid. »Einer von den Einfachen …« Sie faltet die Hände auf dem Tisch. »Was genau möchten Sie wissen?«
»Eigentlich wollte ich wissen, wie jemand, der in Lichtenberg in einem Pflegeheim lebt …«
»… Wir sind ein Senioren-Wohnpark«, hakt Frau Hirschmann freundlich ein. Ich könnte wetten, dass macht sie immer, sobald jemand in ihrer Gegenwart das böse Wort in den Mund nimmt. »Pflegeheim klingt ein bisschen nach Verwahrungsanstalt, finden Sie nicht?«
»Was ich eigentlich fragen wollte …«, sagt Phil. »Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Herr Becker sei ›einer von den Einfachen‹ gewesen?«
Frau Hirschmann atmet hörbar aus. Die Gravitation zerrt an ihrem Gesicht wie ein Schimpansenbaby an seiner Mutter. »Sehen Sie, Herr Mahlow: Viele Bewohner verbittern mit zunehmendem Alter, werden depressiv, aggressiv oder einfach nur unglücklich … Vereinsamung, einsetzende Demenz, Verlust der körperlichen Fähigkeiten – das bereitet vielen Menschen große Probleme.«
Ich rufe mir den Geruch auf dem Flur in Erinnerung und denke, dass der Verlust von körperlichen
Flüssig
keiten es wohl eher trifft.
»Und das sind dann die Schwierigen«, sagt Phil. »Im Gegensatz zu den Einfachen wie Herrn Becker.«
Frau Hirschmanns Mundwinkel machen etwas, das ihr die Tränen in die Augen treibt und übersetzt so viel heißt wie: So ist das Leben. »Wenn alle unsere Bewohner so wären wie Herr Becker, dann wäre hier manches einfacher. Er war immer freundlich, immer höflich, nie nachlässig gekleidet, beschwerte sich nicht über das Essen, beschwerte sich nicht über die Behandlung … Und dann ist er plötzlich verschwunden.«
»Wie
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