Ausgefressen
der Sohn hat …?«
Stufe für Stufe beginnt Phil, die Treppe hinabzusteigen.
»… seinen Vater ermordet und im Zoo vergraben, um an dessen Wohnung zu kommen? So scharf, wie er auf die Wohnung ist …«
Phil antwortet nicht.
»Hat er wohl nicht«, beantworte ich meine eigene Frage.
»Nein.«
»Okay«, sage ich kleinlaut.
Auf dem Bild seines Führerscheins sieht Rüdiger Rohloff aus wie der traurige, liebenswerte Opa, der am Ende des Films garantiert alles verloren hat und den Zuschauer zu Tränen rührt. Als letzte Adresse ist die Friedbergstraße in Charlottenburg angegeben.
»Wenigstens mal einer, der in Zoonähe gewohnt hat«, bemerkt Phil.
An dem Tag, als in der Friedbergstraße die Zeit stehengeblieben ist, war die Welt noch in Ordnung. Die Autos haben ausnahmslos Metallic-Lackierung, sind gepflegt und parken wie mit dem Lineal gezogen. Das Haus, in dem Rüdiger Rohloff gewohnt hat, schreit einem seine Sauberkeit praktisch entgegen, die Balkone sind adrett bepflanzt, penibel konservierte Stuckornamente bewachen die Fenstersimse, vom ersten Stock an aufwärts setzen geblümte Sonnenschirme dem Weiß der Fassade sommerlich freundliche Farbtupfer auf. Das Klingelbrett ist aus massivem Messing, die Namen sind eingraviert. Wer hier einmal einzieht, zieht offenbar so schnell nicht wieder aus.
Phil deutet auf die Messingleiste: »Seitenflügel, dritter Stock. Wenn da jetzt auch der Sohn mit seiner Familie eingezogen ist, werde ich langsam stutzig.«
Er versucht wieder den Trick mit der Hausverwaltung, der in der Friedbergstraße allerdings weniger gut ankommt als in Neukölln.
»Und weshalb haben Sie keinen Schlüssel dabei?«, fragt die Messingleiste, nachdem Phil ihr erklärt hat, dass er von der Hausverwaltung sei und einen Blick in den Hof werfen müsse.
»Den hab ich dummerweise im Büro vergessen. Könnten Sie jetzt b…«
»Und warum wollen Sie einen Blick in den Hof werfen?«
Phil zeigt mir seine Sonnenbrille. Ich nehme an, hinter den Gläsern rollt er mit den Augen. Der Preis für eine Welt, in der noch alles in Ordnung ist, scheint grundsätzliches Misstrauen zu sein.
»Wegen des Fahrstuhls«, antwortet er.
»Wegen welches Fahrstuhls?«, erwidert das Messingschild.
»Wegen des Fahrstuhls, den wir einzubauen gedenken. Könnten Sie je…«
»Wird dann die Miete nicht teurer?«
»Nur marginal. Könnten Sie jetzt nicht bitte end…«
»Das heißt es ja am Anfang immer – dass die Erhöhung nur marginal ausfällt, und am Ende sind es dann doch fünf oder sechs Euro mehr im Monat, und ich muss wieder den Anwalt bemühen!«
Phil nimmt die Brille ab und nähert sein Gesicht den Schlitzen, als könne er so die Frau dahinter erkennen. Dann spreizt er an beiden Händen die Finger, wie um sie zu erwürgen. »Sie schalten wegen fünf Euro im Monat den Anwalt ein?«
»Ja was denken
Sie
denn? Rechnen Sie das doch mal hoch – da kommt ganz schön was zusammen.«
Phil wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und beginnt sich die Schläfen zu massieren. Frauen wie die, die sich hinter den Messingschlitzen versteckt hält, sind es, die ihn im Zeitraffer altern lassen. Glücklicherweise öffnet sich in diesem Moment die Haustür, und ein Mann mit perfekt ergrauten Schläfen und farblich darauf abgestimmtem Anzug tritt über die Schwelle, gefolgt von einem etwa fünfjährigen Jungen, der offenbar gerade die Ausbildung zum Schiffsoffizier antritt.
»Vielen Dank«, flötet Phil in die Gegensprechanlage, »nicht mehr nötig.« Und schon werden wir von der aristokratischen Kühle eines marmornen Treppenhauses empfangen.
Im dritten Stock des Seitenflügels herrscht eine Ruhe, wie ich sie im Zoo noch nie erlebt habe. Auf Phils Klingeln antwortet niemand. Wir warten. Nichts. Ich höre das Blut in meinen Adern rauschen. Phil blickt sich um und besieht sich den Schließzylinder.
»Abus, XP 2 S.« Er stellt die Tasche auf den Boden und klappt den Deckel zurück. Ich sehe zu ihm auf. »Zwölf unabhängige Schließelemente in drei Ebenen«, erklärt er.
Natürlich hab ich nicht die geringste Ahnung, was mir das sagen soll. Also entgegne ich: »Kinderspiel für einen wie dich.«
Damit entlocke ich ihm tatsächlich ein Lächeln. Er hockt sich neben die Tasche, schubst mich zur Seite und fördert aus einer Reißverschlusstasche etwas zutage, dass tatsächlich wie ein Kinderspielzeug aussieht und mich entfernt an den Elektroschocker erinnert, außer dass es nur eine Spitze hat.
» EZ -
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