Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Ja, da brüten Vögel. Ja, da versteckt sich der Fuchs. Ja, da gibt es Würmer, Raupen, Schnecken und all das Zeugs. Ja, eine Hecke beherbergt zahllose Nützlinge. Ja, eine Hecke bietet Schutz vor Wind und damit vor Erosion. Ja, ja, ja. Aber wie groß ist denn nun der wirtschaftliche Nutzen, den das alles langfristig bringt? Das ist unmöglich auszurechnen. Also weg mit der Hecke: X Mannstunden, Maschinenstunden, Diesel pro Jahr gespart. Bringt soundso viel Euro pro Jahr. Das ist
leicht
auszurechnen.
Monokulturen sind deshalb so leicht zu beherrschen und zu verstehen, weil ihre Komplexität geringer ist. Viel geringer. Im Vergleich mit einem naturnahen Ökosystem ist so eine monokulturelle Insel so wenig komplex, dass man als Land- oder Forstwirt einfach eine Tabelle nehmen kann, zum Beispiel die »Hilfstafeln für die Forsteinrichtung«. Eine kleine Broschüre, ein Paar Euro zuzüglich Versandkosten. Als Forstwirt kann ich dort beispielsweise nachschlagen, nach wie viel Jahren ich wie viel Festmeter Holz pro Jahr aus einem mittelstark durchforsteten Fichtenwald auf einem Standort in Südbayern herausholen kann, um den Ertrag zu optimieren. Das heißt nichts anderes als: Der Förster muss nicht lange abwägen, er kann nach Schema F arbeiten. Die Monokultur ist ein höchst simples und darum leicht beherrschbares System. Es ist effizient und kostenoptimiert, also maximal ökonomisiert.
Nur leider, leider, es lässt sich nicht mit Plastikfolie umwickeln oder unter einer Glaskuppel von der Außenwelt abschotten. Der Förster kann all das lästige Viechzeugs einfach nicht davon abhalten, in seinen schönen, akkuraten, ertragsoptimierten Fichtenwald hineinzuspazieren und sich dort Nischen zu suchen. Das bricht dem Controller im Förster beinahe das kalte Herz. Er hat die Rechnung ohne die Borkenkäfer gemacht.
Vor allem der Buchdrucker ist sein Feind. Der Buchdrucker ist ein Käfer, und zwar ein »großer achtzähniger Fichtenborkenkäfer«. Er ist ein Insekt, und Insekten haben nun mal eine ganz hervorstechende Eigenschaft: Sie haben einen Hang zu Sex. Sie neigen zu Massenvermehrungen. Geht es ihnen an einem Ort besonders gut, weil die Feinde rar sind und das Nahrungsangebot üppig ist, dann explodieren die Populationen geradezu.
So ist das auch beim Buchdrucker. Aber der hat noch eine andere Eigenschaft: Er ist ein Billigdenker – und in dieser Hinsicht dem Fichtenacker-Förster durchaus gewachsen. Seine Larven fressen den Bast zwischen Holz und Rinde, was nicht sehr nahrhaft ist, aber geschützt unter der Rinde kann man schließlich große Mengen davon fressen. Billiges Zeugs in Massen konsumieren, und das bis zum bitteren Ende. Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Buchdrucker sind auf die Billigkultur fokussiert, sie können nur Fichten zerstören, das aber ausgezeichnet. Sie sind dabei noch effizienter als ihre Vettern, die Kupferstecher.
Beiden Rüsselkäferarten ist gemein, dass ihre Männchen in die Rinde der Fichten Gänge bohren. Dort haben sie es dann schön kuschelig und irgendwie macht sie das tierisch scharf. Sie verströmen dann einen die Weibchen anlockenden Duft und warten. Sobald ein Weibchen hereinschaut, geht es zur Sache. Darum heißen diese Gänge unter der Rinde auch »Rammelkammern«. Die Weibchen legen an Ort und Stelle ihre Eier. Die geschlüpften Larven haben enormen Hunger. Sie beginnen zu konsumieren, sie sind sozusagen direkt in ihrem Discounter zur Welt gekommen. Sie bohren sich von der Rammelkammer aus zwischen Baum und Borke Fraßgänge. Dieses Fraßbild hat eine ganz typische, zeilenartige Form, und es hat den Buchdruckern und Kupferstechern auch ihre Namen gegeben.
In ihrer Gier zerstören die Käfer die Pflanzensaftkanäle, und wenn sie in Massen auftreten, machen sie den Wirtsbaum nicht nur krank, sondern sie bringen ihn kurzerhand um. Die Nadeln werden rot, und bis zum Sommer ist der Baum tot. Keiner kann so effizient Fichten zerstören wie der Buchdrucker.
In einem normalen Ökosystem, wo die Bäume gemischt durcheinanderstehen, stößt er ständig an eine räumliche Grenze. Mit Tannen, Buchen und Eichen kann er nichts anfangen. Nachdem er seinen Wirtsbaum ins Nirwana gefressen hat, endet deshalb seine Massenvermehrung. Er schwärmt aus, um neue Fichten zu finden, und dieses Abenteuer überleben nur wenige Exemplare. Ein natürlicher Wald hält also alleine durch seine Komplexität und Artenvielfalt den Buchdrucker im Zaum. Wenn es nicht so wäre, gäbe es heute keine Fichten
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