Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
verschifft, geflogen, gefahren und verkauft um und auf der ganzen Welt.
Dabei wird nicht deshalb in Shenzhen oder in Ho-Chi-Minh-Stadt oder in Pune produziert, weil dort das Know-how und Produktwissen am größten ist, weil dort die Qualität der Produktion am besten und die Fehlerquote am geringsten wären oder die Arbeitskräfte besonders innovativ, sondern einzig deshalb, weil dort die Lohnstückkosten die niedrigsten sind. Auf diese Weise wurde beispielsweise Foxconn zum größten Elektronikhersteller der Welt. Rund 300 000 Mitarbeiter stellen in der »iPod-City« in Shenzhen die Bauteile für Apple, Sony, Nintendo und Hewlett-Packard konkurrenzlos billig her.
Es gibt bei jedem Standort am Ende der global verlängerten Werkbank eine Serie von Gründen, die zu einem einzigen Faktor zusammenwirken, nämlich zu dem der niedrigen Produktionskosten. Im Jordantal in Israel Obst und Gemüse für den mitteleuropäischen Verbrauchermarkt herzustellen, ist eigentlich aberwitzig, aber die Kombination aus billigen arabischstämmigen Arbeitskräften, hervorragender Landwirtschafts- und Bewässerungstechnologie auf dem neuesten Stand und dem politischen Willen, Landwirtschaft als klassisches Merkmal eines »kompletten« Staates zu erhalten – und sei es bloß mit massiver finanzieller Unterstützung –, macht es möglich.
Unsere Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, die in Tausenden von Gesetzen, Verträgen und Verordnungen die Angestellten und Produktionsarbeiter vor Ausbeutung bewahren und zu Arbeitsschutz-, Verbraucherschutz- und Umweltschutzstandards geführt haben, sind heute genau die Kostenfaktoren, die die Produktionsarbeit hierzulande im weltweiten Vergleich teurer werden ließen. Deshalb haben wir große Teile der Produktionsarbeit verloren. Sie wanderte schrittweise nach Osten, erst nach Osteuropa, dann in die Türkei oder nach Russland, dann nach Indien, China, Vietnam, Bangladesch und so weiter. Bald sind wir einmal außen rum, dann kommt die Arbeit von Westen wieder zu uns zurück, nämlich dann, wenn die Vietnamesen ihre T-Shirts bei uns nähen lassen, wie der Kabarettist Richard Rogler einmal frotzelte.
Also: Wir wollen Ethik und wir wollen Ökologie, deshalb bekommen wir Produkte, die unter unethischen und unökologischen Bedingungen hergestellt werden. Jedenfalls sehr häufig und gemessen an unseren eigenen Maßstäben. Ist das nicht verrückt? Wir würden toben vor Wut, wenn die Pailletten auf der Bluse mit Luxuslabel, die wir in der Edelboutique kaufen, in einem deutschen Keller von Kinderhänden aufgestickt worden wären. Da sich der Keller aber in Asien und nicht in Europa befindet, bleiben wir ganz ruhig. Ja, das ist verrückt.
Dabei setzen wir das alles für Luftballons aufs Spiel, die irgendwann unweigerlich platzen oder schrumpfen. Denn jeder globalisierte Produktionskostenvorteil ist immer nur temporärer Natur. Wenn die Löhne in China und Indien gestiegen sein werden, wenn auch dort die sozialen Standards des Arbeitsschutzes, des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes flächendeckend eingeführt worden sein werden, wenn es auch dort Arbeitsbedingungen geben wird, die dem westlichen Niveau entsprechen, dann wird die Produktion in China keinen Kostenvorteil mehr bringen. Nichts spricht dafür, dass die Chinesen in zehn Jahren noch für 50 Dollar im Monat oder weniger unter gesundheitsschädlichen Bedingungen unsere Discount-Produkte herstellen werden.
Nur: Wir können dann nicht mehr die Fabriken in Deutschland einfach wieder aufbauen. Denn die Werkstoff-, Produkt- und Produktionskompetenz haben wir Richtung Osten verloren. Für die Chinesen ist der Know-how-Transfer langfristig gut, keine Frage. Aber wir sind dabei, das komplette Fundament der Konsumgüterindustrie in Deutschland zu verlieren. Die Wertschöpfungskette von A bis Z können wir hierzulande schlichtweg nicht mehr. Das heißt: Wir sind bei den meisten Produkten des täglichen Bedarfs von anderen Weltregionen abhängig. Das ist heute schon so, Tendenz weiterhin steigend.
Und abhängig sind wir nicht nur vom Produktions-Know-how und von den niedrigen Lohnkosten in Fernost, abhängig sind wir insbesondere von einem weiteren Faktor, den wir überhaupt nicht kontrollieren können.
Wenn alle am gleichen Tropf hängen …
Wer im Supermarkt in die Regale greift, macht sich nicht klar, dass der Apfel aus Neuseeland Tausende von Kilometern im Schiffscontainer oder die Ananas Tausende von Kilometern im Flugzeug unterwegs war. Wir
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