Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
mehr. Und kurz darauf gäbe es auch keine Buchdrucker mehr.
Ja, ein echter, gesunder Wald profitiert sogar von den besonderen Fähigkeiten des Buchdruckers, denn wenn der vereinzelt auftritt, kann er eine gesunde Fichte nicht töten. Der Baum wehrt sich mit giftigem Harz und kann einzelne Larvengänge auch verkraften. Der Buchdrucker bringt darum nur geschwächte Fichten um und sorgt dadurch für eine Auslese der schwächsten Fichten. Die Lücke, die sie hinterlassen, kann dann von stärkeren, besser an den Standort angepassten Bäumen geschlossen werden. Der Wald insgesamt wird dadurch stärker.
So, nun ist aber auch leicht zu verstehen, was passiert, wenn ein lebenslustiger Borkenkäfer eines sonnigen Frühjahrs in einem monokulturellen Fichtenacker landet. Ein einziges Männchen, dem es gelingt, ein einziges Weibchen heranzulocken, genügt, um das ganze Wirtschaftskonzept ins Wanken zu bringen. Das Weibchen hat etwa 20 weibliche Nachkommen, wovon etwa die Hälfte bis zur Eiablage überlebt. Das heißt, die Population verzehnfacht sich pro Generation. Wenn das Wetter passt, also vor allem in warmen, trockenen Jahren, schaffen die Buchdrucker drei Generationen bis zum Herbst. Also hat sich der Borkenkäferbestand im ersten Jahr vertausendfacht. Die Käfer überwintern gut geschützt unter der Rinde. Im zweiten Jahr: tausend mal tausend. Im dritten Jahr …
Der Förster einer vom Buchdrucker befallenen Fichtenmonokultur hat so richtig Stress. Jeden Tag rennt er in seinen verdammten Wald und kontrolliert die Kronen. Verfärbt sich eine Krone, muss der Baum sofort gefällt und aus dem Wald geschafft werden, bevor die umstehenden Bäume befallen werden. Möglicherweise muss er auch Gift ausbringen. Jedenfalls rennt der Förster den ganzen Tag hinter dem Borkenkäfer her. Wie ein Controller, der dem Marketingleiter vorschreibt, ob er einen Bleistift braucht oder nicht, bestimmt der Buchdrucker, was der Förster tut. Seinen Beruf hat sich der Förster irgendwie anders vorgestellt. Und wenn dann noch das Wetter zufällig heiß und trocken und damit aus Borkenkäfersicht Kaiserwetter ist, kommt er nicht mehr aus der Hektik heraus.
Und die ganze schöne Monokultur wird dann plötzlich zur Milchmädchenrechnung. In den Jahren, in denen der Förster ein Buchdruckerproblem hat, fallen riesige Mengen Holz an, auch wenn der Marktpreis gerade niedrig ist. Wann geerntet wird, bestimmt der Borkenkäfer: das sogenannte Käferholz. Hinzu kommen die hohen Kosten der Gegenmaßnahmen. Das alles macht die saftige Rendite, die die Tabellen versprochen haben, wieder zunichte. Und hoffentlich (um Gottes Willen!) werden in diesem Jahr die Winterstürme nicht so heftig, So ein angefressener Einheitsforst macht im Starkwind keine allzu elegante Figur, er neigt dazu, sich einfach hinzulegen. Irgendwie scheint die Realität da draußen mit den Tabellen nicht ganz so gut übereinzustimmen …
Fade to Blackberry
Das Desaster, das die energieoptimierte (und durch die ertragsoptimierte Monokultur des Fichtenackers geförderte) Zerstörungsarbeit des Buchdruckers anrichtet, ist eine wunderbare Analogie für das, was die Zahlen-Daten-Fakten-Manager in einer von Handelsriesen dominierten Monokulturkonsumwirtschaft anrichten.
Wie genau sieht sie aus, die Buchdruckerkultur in Wirtschaft und Gesellschaft? Um möglichst viel Saft aus dem System zu saugen, müssen zunächst mal die Mitarbeiter ausgequetscht werden: Der Arbeitstag wird fachmännisch entsaftet, indem trotz geltender Arbeitszeitregelungen und arbeitnehmerfreundlicher Gesetzgebung, trotz aller Tarifverträge und Arbeitsschutzverordnungen die Arbeit auf geschickte und legale Weise immer weiter verdichtet wird, bis die Leidensfähigkeit der Mitarbeiter erschöpft ist. Was dann passiert, ist mittlerweile als gesamtgesellschaftliches Phänomen öffentlich geworden und beherrscht unter dem Stichwort »Burnout« die Medienlandschaft.
Ich will dieser Diskussion hier nicht allzu viel hinzufügen, außer meinem subjektiven Eindruck, dass meine Gesprächs- und Geschäftspartner in der Wirtschaft unter stark zunehmendem Druck stehen. Viele auf den Führungsebenen und in den Projektteams sind mit Ende dreißig, Anfang vierzig bereits völlig fertig!
Es ist verblüffend zu beobachten, wie die Leute immer weniger Luft in ihrem Tag haben, um sich mal 15 Minuten lang zu unterhalten, mal eine zu rauchen oder auch mal kurz nicht erreichbar zu sein. Geschweige denn, in Ruhe etwas zu essen oder eine
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