Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
er ein Bauer oder aus der sozialen Unterschicht wäre, und volkstümelt vor sich hin, dieser Platt.“
„Und einen Weltmeistertitel im Skifahren halten Sie auch für keine Lizenz zum Singen.“
„Kompetent ist, wer etwas von der Volksmusik versteht. Egal, woher er kommt.“
„Und sie?“
„Wie?“
„Ich dachte, es gibt auch Frauen in der Volksmusik.“
„Natürlich. Warum? Ja, egal, woher er oder sie kommt. Natürlich auch sie. Haben Sie schon etwas Schlimmeres und Frauenfeindlicheres als diese volkstümlichen Schlager gehört?“
Er hatte ja grundsätzlich Recht. Aber seine rechthaberische Art war unerträglich. Und von meinem Chefredakteur hatte ich auch schon jede Menge Sexistisches gehört.
Wenig später konnte ich endlich auflegen und atmete tief durch. Meine Schlank-und-fit-Phase war vorbei. Ich nahm den Lift und verließ das Redaktionsgebäude. Vielleicht hatte dieser Heinrich den armen Downhill-Sepp umgebracht, um die echte Volksmusik zu retten. Wer würde das nächste Opfer sein? Das Mädchen mit den blonden Zöpfen? Die Frohsinn-Mädel? Vielleicht mit vergiftetem Schnaps? Der Moderator? Ich gebe zu, dass mir diese Vorstellung gefiel. Rein theoretisch, natürlich. Aber der Gerechtigkeit halber sollte im Anschluss daran irgendjemand auch Heinrich, diesen Rächer der wahren Volksmusik, um die Ecke bringen.
Neben drei Rechnungen und einem halb zerrissenen Versandhauskatalog fand ich im Briefkasten eine Karte von Vesna. Die Gute. In meiner Wohnung sah es bereits katastrophal aus, und das nach nur zwei Wochen.
„Wir haben Sommerwetter. Brüder bauen das Haus weiter, ich helfe. Freizeitlich fahre ich Motorrad. Hoffentlich geht es dir gut, Mira Valensky. Und vergiss nicht, Blumen gießen! Hochachtungsvoll, Vesna.“
Vesna mit ihrem Motorrad. In Österreich war ihre Maschine nicht zugelassen. Sie war ein wirkliches Einzelstück. Vesna und ihr Bruder hatten sie noch in Bosnien aus den unglaublichsten Einzelteilen zusammengebaut. Ich werde nie vergessen, wie ich am Sozius dieses Unikums durch das nächtliche Wien gebraust war. Beinahe ein Jahr war das schon her. Ohne Vesna hätte ich den Wahlkampfmord nie gelöst. Wie sie wohl zu Volksmusik stand? Oder zu volkstümlicher Musik? Beim Putzen hörte sie gerne Radio, aber immer nur Wortsendungen. Zum Deutschlernen. Verdammt, Blumen gießen! Natürlich hatte ich darauf vergessen. Ich habe keine Hand für Blumen. Ich mag Lebewesen, die sich selbst versorgen können. Oder die sich, wie Gismo, wenigstens melden, wenn sie etwas brauchen. Die Palme ließ schon alles hängen. Und der Ficus von meiner Mutter auch. Aber den mochte ich ohnehin nicht. Vielleicht sollte ich ihn einfach eingehen lassen. Nein, Blumen beim Sterben zuzusehen, war auch nicht meines. Also suchte ich nach der Kanne, füllte sie mit Wasser und goss.
[ 3. ]
Kulissen wirken im Allgemeinen realer. Dabei wurden die hier eingesetzten Requisiten Tag für Tag benutzt. Die Kellnerinnen waren – wie ihre Krampfadern verrieten – ebenfalls echt. Sie waren dazu da, um viel Wein, etwas Wasser und jede Menge Fleisch zu servieren.
Um die hölzernen Tische drängten sich sonst Touristen, Touristinnen und solche Wiener, die schon längst vergessen hatten, was einen Heurigen eigentlich ausmacht. Die großen Oleanderbüsche standen da wie immer, und der Wein wurde auch sonst in Karaffen und kleinen Krügen serviert. Ein Nobelheuriger in Grinzing. Privat mache ich um solche Lokale einen weiten Bogen. Der Wein ist schlecht und teuer, das Buffet zwar üppig, aber ohne Köstlichkeiten echter Heuriger wie Liptauer, selbst gemachte Blutwurst, Leberaufstrich, womöglich selbst geräucherten Schinken. Hier kommt der Schinken aus der Fleischfabrik, dafür kann man wie in einem Restaurant von Anglerfilet bis Zwiebelrostbraten alles bestellen. Fürchterlich.
Trotzdem stand ich mit einem gespritzten Weißwein da und beobachtete das Treiben. Der Fernsehsender hatte zu einem Volksmusikheurigen geladen. In Wien bitten Politiker im Sommer zu Parteiheurigen, Plattenfirmen zu Plattenheurigen, Produzenten von Volksmusiksendungen zu Volksmusikheurigen. Und alle Veranstaltungen finden in den gleichen vier, fünf riesigen Heurigenlokalen Grinzings statt. Wenigstens geriet ich hier nicht in Versuchung, zu viel zu essen oder zu trinken.
Den Ziehharmonikaspieler kannte ich bereits. Wer in Wien versucht, als Lifestyle-Journalistin zu überleben, kommt weder an ihm noch am Rest des Heurigenzaubers vorbei. Die Volksmusikleute
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