Ausgerockt - [Roman]
transparentes Leiden, ihr irgendwie telepathisch bewusst wurde.
Sie war sein Publikum. Ihm fiel sonst niemand ein, den es kümmerte, was er tat.
Brunssen stand mit einem Becher Kaffee in dem kleinen Apartment im Kaiserhof.
»Hier, trinken.«
»Wo bin ich? Wer sind Sie?«, murmelte Linus. Ein Scherz, der seinen Zustand kaschieren sollte. Er hatte furchtbare Kopfschmerzen und suchte nach einer kühlen Stelle im Kopfkissen, die er sich auf das Gesicht drücken konnte. Ihm war schlecht.
»Ist gestern spät geworden, was?«
»Und feucht. Woher …«
»Ramona.« Brunssen stellte den Kaffeebecher auf den Nachttisch. »Ihr geht es auch nicht besonders. Allerdings sitzt sie schon beim Frühstück.«
Brunssen zog Linus das Kissen vom Gesicht. »Also, Kaffee, anziehen, bisschen Wasser ins Gesicht, und dann machen wir einen Spaziergang.«
Linus rollte sich embryonal zusammen, doch sofort kam ihm die Haltung vor Brunssen erbärmlich vor. Er richtete sich auf und verharrte einen Moment auf der Bettkante, bis sein Kreislauf sich stabilisierte. »Du solltest dich als Bräutigam nicht mit einer Schnapsleiche rumschlagen müssen.«
»Ina geht mit ihren Eltern spazieren, da kann ich doch wohl etwas Zeit mit meinen Kumpel verbringen.«
Linus nippte an dem Kaffee, stellte fest, dass er kalt war, und ließ ihn stehen.
Erst als sie am Meer waren, erwachten in ihm zögerlich die Lebensgeister. Er drängte Brunssen, nahe am Wasser zu laufen, damit er den Strandkorb nicht sehen musste, in dem er gestern so konsequent an der heutigen Verfassung gearbeitet hatte. Vom Strandkorb aus war er betrunken zur Cocktailbar gelaufen, wo er Ramona getroffen hatte. Ramona, sonst niemanden.
Sie hatten gescherzt, ob denn eigentlich allen die Füße weh täten, hatten sich Cocktails bestellt und über die träge Hochzeitsgesellschaft gelästert. Später hatte Ramona zwei Flaschen Wein aus ihrem Zimmer geholt und Linus in seinen Strandkorb begleitet.
Bei der Erinnerung an den Weißwein drehte sich Linus der Magen um. Er konzentrierte sich auf Brunssen.
Der hatte die Hände in den Taschen seiner daunengefüllten Jacke. Der Kragen war bis über die Ohren zugezogen.
»Nett, dass du dich um mich sorgst«, sagte Linus. »Hat das einen bestimmten Grund?«
»Ich will einfach Zeit mit einem Kumpel verbringen.« Brunssen ließ seinen Blick über das Meer schweifen. »Weißt du, Keller, das hier ist der Beginn eines neuen Abschnitts. Für mich. Und mir ist das irgendwie wichtig, dass ich etwas aus dem vorigen Abschnitt mitnehme.«
Linus runzelte die Stirn. »Und da nimmst du ausgerechnet mich?«
Brunssen nickte. »Ja. Unter anderem.«
»Da fühl ich mich aber geehrt.«
»Du weißt doch, wie ich das meine. Sag mal, hast du dir eigentlich schon überlegt, was du jetzt tun wirst?«
»Inwiefern?«
Brunssen lachte kurz und legte Linus eine Hand auf die Schulter, als sie sich dem Ende des mittleren Strandabschnitts näherten. »Ich kann dir genau sagen, inwiefern. Du hast keinen Plattenvertrag und keinen Job. Da liegt die Frage doch nah, was du jetzt vorhast.«
Linus zuckte mit den Schultern. Er ärgerte sich über Brunssens Wortwahl. Vor einigen Tagen hätte es noch geheißen, WIR haben keinen Plattenvertrag, aber Brunssen hatte sich bereits ausgenommen, hatte eine Perspektive.
»Du hast übrigens auch keinen Plattenvertrag«, sagte Linus. Es klang trotziger, als er es wollte.
Brunssen blieb stehen und sah ihn an. »Ich werde dir mal was sagen, Herr Keller. Wir haben fast zehn Jahre zusammen Musik gemacht. So was verbindet.«
Linus nickte, Brunssen fuhr fort. »Ich mag euch alle. Auch Lennard und Holger. Das sind super Typen. Hätten Ina und ich uns kein Limit setzen müssen, dann wären die beiden auch hier. Aber es gibt große Unterschiede zwischen dir und Holger. Ich meine, bei ihm erwarte ich nichts anderes. Der lässt sich jetzt hängen und eiert so rum.«
Linus merkte, dass Brunssen in seinem Gesicht nach einer Reaktion forschte. Schließlich fuhr er fort. »Aber du, Keller, du hast doch mehr in der Birne als diese ganzen verrückten Ideen. Was ich meine ist, dass du den gleichen Anspruch an das Leben hast wie ich.«
Linus setzte sich wieder in Bewegung, in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Und was soll mir das jetzt sagen?«, fragte er, obwohl er genau wusste, was es ihm sagen sollte.
Brunssen folgte ihm. »Du wirst irgendwann ziemlich dumm aus der Wäsche gucken, wenn du nicht ganz schnell eine neue Richtung findest. Hier ist
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