Ausgerockt - [Roman]
Bücherclub war, oder ob sie im Bücherclub war, weil ich … Huhn oder Ei? Ich habe keine Ahnung.«
Linus schweigt. Er hat sein Apfel-Explosionsgemälde vor Augen, die Szene im Stadion, Silvester mit Natascha, das ganze Elend.
Als sie den Kiosk erreichen, blicken sie auf heruntergelassene schmutzige Jalousien.
»Ach, schade«, sagt Mark.
»Wir sollten zurückgehen.«
Mark nickt. »Ja. Ist ohnehin besser.«
»Ja.«
Es ist bereits dunkel, als sie wieder am Laden sind. Es brennt Licht. Gelächter und ausgelassene Gespräche dringen auf die Straße.
Jana ist da. Sie trägt einen dunkelroten Hosenanzug und dezente Schminke. Wahrscheinlich ist sie direkt von der Arbeit hergekommen.
Neben ihr steht Holger. Er trägt eine graue Stoffhose, Chucks und einen gelben Jean Pascal Pullover. Seine schwarzen Haare sind streng zurückgegelt.
Ein unwirkliches Bild, nicht bloß wegen des Outfits, sondern weil die beiden sich nie zuvor begegnet sind und nun nebeneinander stehen, als würden sie sich seit Jahren kennen.
Aber es ist real. Sie stehen dort. Sie scherzen.
Es sieht aus, als halte Jana einen Vortrag, als sei Holger ihr Assistent und die Kaffeerunde ihr Publikum.
Abgesehen von Brunssen. Er achtet nicht auf das, was Jana sagt. Zunächst bemerkt er nicht einmal, dass Linus wieder da ist. Er sitzt über eine aufgeschlagene Zeitschrift gebeugt, liest etwas und schüttelt ungläubig den Kopf.
Holger boxt Linus in die Seite. »Hey, Raúl! Der Jahresrückblick!«, sagt er.
»Raúl, der Jahresrückblick?« Linus schaut Holger verständnislos an.
»Stern«, sagt Jana. »Herr Brunssen, bitte lassen sie doch den Herrn Keller auch mal lesen.«
»Die Herren Keller«, sagt Mark. Er reicht Jana die Hand.
»Ah, der verschollene Halbbruder.« Jana lächelt.
Mark legt Linus eine Hand auf die Schulter. »Ja, der verschollene Halb…bruder.«
Brunssen schiebt die Zeitschrift über den Tisch: »Das bist du! Linus, das bist tatsächlich du!«
Linus beugt sich vor, stützt die Arme auf den Tisch und betrachtet das Foto.
Holger und Linus flankieren das schwarze Transparent, das an der Außenfassade der Baumwollbörse hängt. Darunter steht:
November: Gesellschaftspolitischer Bankrott? Die Bremer Aktionskünstler Holger Jungscheidt und Linus Keller halten der Gesellschaft den blankpoliertesten Spiegel des Jahres vor.
»Das ist nicht viel, aber immerhin«, sagt Jana. Sie zupft unbewusst an Linus’ Ärmel herum.
Mark und Cathy sehen sich fragend an. Ina erzählt den beiden von Holgers und Linus’ Aktion. Lennard bereichert ihre Ausführungen mit haarsträubenden Einzelheiten.
»Ausgerechnet der, der nicht dabei war, will’s am besten wissen!«, sagt Brunssen.
»Okay, Leute, okay, hört zu!«, ruft Holger. »Also. Die Tatsache, dass Linus’ ehemalige und hoffentlich auch zukünftige Werbetexterin uns den Jahresrückblick präsentieren konnte, ist eigentlich nicht der Grund für meine Anwesenheit. Aber es ist durchaus eine Bereicherung. Ein toller Opener. Oder, um es anders zu sagen: der passende Aufheizer. Na ja, sagen wir, es ist praktisch die Vorband zu …«
»Komm auf den Punkt, du Aktionskünstler«, sagt Brunssen.
»Gut gut. Also …« Holger presst Hände und Lippen zusammen und fängt dann an, vor dem Tisch auf und ab zu gehen.
»In meiner Funktion als Betreuer der Rechte der üblichen Konsumenten, als Quasi-Sprachrohr eines Teils der Gesellschaft, der sich nicht mehr als Sprachrohr der Gesellschaft verstanden wissen will, weil er der nicht gehörte Teil ist und somit gar nicht als sprechend bezeichnet werden kann, sofern man davon ausgeht, dass jemand, der nicht gehört wird, auch nicht spricht …«
»Am besten Ohren zuhalten«, flüstert Brunssen zu Cathy gebeugt.
»… also, in dieser Funktion habe ich, dieses mal ohne meinen Raúl, eine weitere Kennzeichnung unseres kulturellen Niedergangs vorgenommen. Und, eines vorweg, dieses mal handelt es sich nicht um urinale Kennzeichnung.«
»Ich werd ganz nervös bei dem Gequatsche«, sagt Brunssen.
»Er ist gorgeous. Ein original guy«, meint Cathy.
»Er ist nicht ganz dicht«, brummt Brunssen.
»Herrschaften!«, ruft Holger. »Nun beruhigen wir uns doch wieder!«
»Dann sag doch endlich, was du willst!«, entgegnet Lennard genervt.
Holger wirft einen Blick auf seine Armbanduhr.
Allein, dass er eine Uhr trägt, findet Linus erstaunlich.
»Was ich will? Die Fernbedienung!«, sagt er und streckt die Hand aus.
Linus ahnt, worauf die Sache hinausläuft. Er
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