Ausgerockt - [Roman]
weißt du selbst am besten.«
Linus hatte sich eigentlich wehren wollen, doch die Bezeichnung »arbeitsloser Hobby-Gitarrist« war nicht hinnehmbar.
Er nahm seine Jacke und lief, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, Richtung Kaiserhof.
Als er einen verstohlenen Blick zurück warf, sah er Brunssen bereits in die andere Richtung verschwinden.
»So eine Scheiße muss ich mir nicht anhören«, fluchte Linus. Niemand konnte erwarten, dass er nach ein paar Tagen bereits Bewerbungen laufen hatte. Immerhin sprachen sie hier über einen entrissenen Lebensentwurf und nicht darüber, dass die Wunsch-DVD am Samstagabend schon ausgeliehen war.
Ganz offensichtlich, so dachte Linus, war Brunssen nicht bereit, sich in seine Lage zu versetzen oder zumindest einmal den Versuch zu unternehmen.
Und wenn er es so recht bedachte, hatte Brunssen noch nie versucht, sich in anderer Leute Lage zu versetzen. Er hatte schon immer, ganz der abgeklärte Banker, auf einem ziemlich hohen Ross gesessen.
Wütend stapfte Linus zu seinem Apartment, wütend duschte er und wütend packte er seine Koffer. Er ahnte, dass seine Wut die Tatsache verdrängte, dass Brunssen es gut gemeint hatte und dass er, Linus Keller, falsch reagierte. Aber er hasste es, wenn man ihn wie ein Kind behandelte. Er hasste es.
Nachdem er seinen Koffer gepackt hatte, erkundigte er sich an der Hotelrezeption, wann das nächste Schiff zum Festland ging. Auf dem Weg zum Anleger kaufte er sich in einem Supermarkt zwei Dosen Bier, die er wütend trank.
Als Linus seine Wohnungstür aufschloss, stieg ihm der säuerliche Geruch alter vertrockneter Nudelreste mit Tomatensoße in die Nase.
Er stellte seine Tasche in den Flur und hängte seine Jacke auf. Ein Griff an den linken Ärmel bezeugte, dass der Streit mit Brunssen kein Tagtraum gewesen war. Der Stoff war noch feucht.
Linus ging duschen, erneut. Es war der Versuch, die Erinnerungen an ein versoffenenes und zerstrittenes Wochenende abzuwaschen. Die äußere Reinigung konnte in seinem Inneren jedoch nichts bewirken.
Er setzte einen Kaffee auf. Während die Maschine röchelnd die Verwandlung von klarem Wasser zu brauner Brühe vollzog, räumte er seinen Verstärker und seine Gitarre aus der Mitte des Raumes an den Rand und warf eine Wolldecke darüber. Todeskandidaten bekommen vor ihrer Hinrichtung eine Mütze über den Kopf gezogen.
Den restlichen Nachmittag saß Linus wie hypnotisiert auf seinem Sessel und starrte durch die hohen Fenster hinaus. Nur ab und zu stand er auf, um seinen Becher mit neuem Kaffee zu füllen oder pinkeln zu gehen. Er funktionierte wie ein Befüllungstank, Zufuhr, Abfuhr, und erwartete davon nicht weniger als eine Erleuchtung.
Als es draußen bereits dunkel war, hatte Linus das Rumsitzen satt. Er fuhr mit dem Fahrrad zum Proberaum, um seine Sachen einzuräumen.
Die kleine rote Schrottlampe brannte, als er ankam. Offensichtlich waren Holger und Lennard am Wochenende hier gewesen und hatten vergessen, die Lampe auszuschalten. Ihre Sachen waren allerdings noch uneingeschränkt vorhanden, soweit Linus das beurteilen konnte.
Er sah sich um und überlegte, wo er anfangen sollte.
Die Gitarre und ein paar Kleinteile wie Kabel und Pedals konnte er mit dem Fahrrad transportieren. Den Verstärker würde er sich später von Lennard oder Brunssen mit dem Wagen bringen lassen.
»Wohl eher von Lennard«, murmelte er.
Mit allem anderen, einem alten Sofa, den Campingstühlen, auf denen sie in den Pausen immer gesessen hatten, dem Plastiktisch und der Kaffeeecke, in der sich allerhand Kram angesammelt hatte, wollte er am liebsten gar nichts mehr zu tun haben.
»Hey, Alter.«
Linus zuckte zusammen und drehte sich zur Tür.
Holger stand im Türrahmen. Er zwinkerte übertrieben mit einem Auge und zeigte auf die halbvolle Bierkiste zu Linus’ Füßen. »Du wolltest dich doch wohl nicht mit dem Stoff aus dem Staub machen?«
Linus schüttelte nur den Kopf. Er wunderte sich nicht, dass Holger offensichtlich gut drauf war. Holgers Stimmungen waren für gewöhnlich so berechenbar wie die iranische Außenpolitik.
»Wie war die Hochzeit?«, fragte der, setzte sich auf die Bierkiste und fingerte zwischen seinen Beinen eine Flasche hervor. »Auch?«
Linus nickte wieder und nahm die Flasche. »Hochzeit war schön. Das Übliche halt. Eine Standesbeamtin, viele Leute, viele Fotos, Sonnenschein. Im übertragenen Sinne. Du weißt schon.«
»Hm. Nee, weiß ich nicht.«
»Du warst noch nie auf einer Hochzeit?«
»Nee.
Weitere Kostenlose Bücher