Ausgerockt - [Roman]
Reinigung.«
»Ach Quatsch. Das ist doch selbstverständlich, dass ich das übernehme.« Linus konnte sich das Lachen nicht verkneifen.
Brunssen auch nicht. »Das kann ich nicht akzeptieren, das geht auf jeden Fall auf meine Kosten.«
»Nicht doch.«
»Gehen wir nächste Woche mal ein Bier trinken?«
Das Wort Bier schlug diagonal in Linus’ Schädel ein. »Klar, oder einen Kaffee vielleicht.«
»Klar. Bier, Kaffee, was auch immer. Ich ruf dich an.«
Sie legten auf. Ganz allmählich wurde Linus klar, dass dieses Gespräch ein durchaus positiver Impuls in einer beschissenen Gesamtsituation war. Er war erleichtert, dass Brunssen angerufen hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es noch ein paar Tage gedauert, bis er sich zu einem Anruf durchgerungen hätte. Dabei war es um so vieles effektiver, sich zu entschuldigen und die Dinge zu klären, anstatt wochenlang mit dem bedrückenden Gefühl ungeklärter Streitigkeiten zu leben.
Streit mit sich selbst konnte er ertragen, das war reine Gewohnheit. Streit mit anderen hingegen war ihm zuwider.
Linus ging ins Bad. Als er sich die Zähne putzte, drang der Nachgeschmack vom Martini hervor. Ihm wurde schlecht.
Das Telefon klingelte wieder. Linus spülte sich den Mund aus, schluckte die Übelkeit runter, so gut es ging, trottete zum Hörer und nahm ab.
»ALTAAAAA! Von Null auf Eins! Nur für euch! HUNDSELEND! Mit ihrem krassen Song Scheiss die Wand an, Joanna!«
»Hallo Holger.«
»Na? Heute proben?«
Holger konnte sich offensichtlich noch an jede Einzelheit des Vorabends erinnern.
Linus seufzte. Entweder er schenkte Holger sofort reinen Wein ein und machte ihm klipp und klar, was er von der Idee einer neuen Band hielt, oder Holger würde so bald keine Ruhe geben.
»Proben, proben, proben!«
»Holger?«
»Proben?«
»Ich … der Alkohol versetzt einen manchmal in Zustände, in denen man nicht man selbst ist.«
»Duuuu FUCHS! Richtig! Wir kippen uns einen, bevor wir proben. Das wird prägend sein für unseren Stil.« Er lachte etwas irre. »Ich ruf Lennard an.«
»Nein, du verstehst mich nicht. Du hast mir gestern Martini eingeflößt, um mich willenlos zu machen.«
»Na ja, war auch nicht besonders schwer.«
»Ja. Mag sein.« Linus musste es einfach sagen. Enttäuschung hin oder her. »Also heute … da sehe ich ehrlich gesagt keine Erfolgschancen mehr für Hundselend .«
Stille in der Leitung.
»Also, um es auf den Punkt zu bringen …«
Stille.
»Ich habe erst mal keine Lust mehr auf Musik. Gar keine. Auch nicht auf Hundselend .«
Stille, noch kurz, dann machte es Klick, und es folgte ein langgezogener Piepton. Holger hatte aufgelegt. Natürlich. Es war albern, aber dennoch zu erwarten gewesen. Linus wurde wütend, weil es niemanden zu interessieren schien, dass er Streit hasste. Er spielte mit dem Gedanken, Holger zurückzurufen. Vielleicht konnte er ein Mindestmaß an Normalität wiederherstellen, mit dem sich der Tag besser verleben ließ. So schnell, wie Holger Normalität zerstörte, musste es doch leicht sein, sie auch wiederherzustellen.
Einfach aufzulegen, das fand Linus daneben. Natascha hatte das auch immer getan. Aber die Vorstellung, jetzt gleich wieder mit Holger reden zu müssen, mit ihm diskutieren zu müssen, war ernüchternd. Linus wollte nur seine Ruhe haben.
Und so verbrachte er den restlichen Tag in seiner Wohnung.
Irgendwann am Nachmittag klingelte wieder das Telefon, doch dieses Mal nahm Linus nicht ab. Er starrte es bloß an, regungslos, emotionslos, und machte eine Denkpause, bis das Klingeln wieder aufhörte.
Nachdenklich betrachtete er sein Handy. Natascha hatte immer noch nicht auf seine Kurznachricht vom Meer geantwortet.
Als sie ihn vor zwei Jahren vor eine Wahl gestellt hatte, die sich für ihn wie »Ich oder die Band« angehört hatte, hatte Linus ihr erklärt, er müsse sich erst mal selbst finden.
Natascha hatte diese Aussage als das entlarvt, was sie war. Die einfachste und gebräuchlichste Ausrede für alles Mögliche, was man nicht ehrlich sagen kann oder mag, wenn man sich trennt. Man spielt den Verwirrten, nicht zuletzt das Opfer dummer Umstände und hofft auf ein mildes Urteil.
Ich muss mich erst mal selbst finden. Dieser Satz, so universell benutzt von Millionen von Menschen, Männern und Frauen, so tragisch in seiner Bedeutung, wenn er denn die Wahrheit beschreibt.
Erst jetzt wurde Linus klar, was es bedeutete, wenn man sich selbst nicht gefunden hat, sich nicht erkannt hat, nicht weiß, wer
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