Ausgerockt - [Roman]
Brunssen den Artikel über den Tresen und stellte ihm den Cappuccino daneben. Brunssen nahm die Tasse an den Mund, schlürfte einen Schluck und machte ein Ah-Geräusch. »Dein Cappu ist der beste! Was ist denn nun mit Jana? Läuft da wieder was?«
Linus schüttelte den Kopf. »Allenfalls Freunde, jetzt, wo ich doch so ein geistreicher Kämpfer für den gesellschaftlichen Umbruch bin.«
Er nickte dem Artikel zu. Brunssen beugte sich dicht über das gefaltete Zeitungspapier.
Die angemarkerte Stelle aus der Süddeutschen Zeitung lautete:
Im Grunde muss man sich nicht lange fragen, welche Botschaft die jungen Männer aus Bremen mit ihrer Aktion vermitteln wollten. Es war der zynische Hinweis auf eine egoistische Gesellschaft, die für nichts mehr auf die Straße geht. Ein riesiges Transparent ohne Schriftzug steht sinnbildlich für die immer lauter auftretende Inhaltsleere in unserer Gesellschaft. Wir haben nichts zu sagen, aber wir sagen es laut. Hohl geht die Welt zugrunde. Der Song »Girls Just Wanna Have Fun« unterstreicht überdeutlich die Intention der Urheber.
Der angekündigte Drachenflug war nur Mittel zum Zweck. Ein wirkungsvolles Instrument, um die Aufmerksamkeit einer Gesellschaft zu erlangen, die sich von weniger als lebensgefährlichem Theater nicht mehr beeindrucken lässt. Leider ist die Vermittlung ihrer Botschaft an dem eigenen Anspruch gescheitert. Keiner hat sie entschlüsselt.
Brunssen sah hoch. »Der Typ ist genial. Wenn ich du wäre, würde ich das eins zu eins übenehmen, wenn noch mal jemand fragt, was …«
Linus hob eine Hand, nickte bedeutsam und stellte den Zeigefinger senkrecht vor seine Lippen. Brunssen hielt sich zur Bestätigung die Hand vor den Mund.
Linus faltete den Artikel wieder zusammen, schob ihn unter die anderen gesammelten Berichte, und Brunssen trank verwundert seinen Cappuccino.
Irgendwann sah er von seiner Tasse auf. »Sag mal …«
»Hm?«
»Also, Ina kriegt bald ihr Kind, also unser Kind natürlich, und ich denke das wird sehr zeitintensiv. Also, ich denke, es wird mich sehr in Anspruch nehmen. Versteh mich nicht falsch, ich freu mich tierisch auf den kleinen Rabauken, aber ich denke, ich werde auch mal ne Auszeit brauchen, irgendeinen Ausgleich ... ich ...«
»Klar. Also wenn’s nicht gerade jedes Wochenende ist, spring ich mal ein. Musst mir nur zeigen, wie das mit den Windeln läuft.«
Brunssen kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Ja. Danke.«
»Kein Thema.«
»Wobei ich eigentlich, ich wollte, ich dachte …«
»Patenonkel?«
»Nee, ich wollte dich fragen, ob du nicht, also ob ihr nicht Lust hättet, nur so zum Spaß, als Ausgleich, ohne Hintergedanken, also ohne jetzt irgendwas erreichen zu wollen, nur so, vielleicht zwei-, dreimal im Monat …« Dann verstummte er.
Linus zog die Augenbrauen hoch und grinste. »Der Banker will wieder Mucke machen.«
»Na ja.« Brunssen war verlegen wie ein Schulmädchen vor dem ersten Kuss. »Nur von Bankgeschäften wird man auch nicht glücklich. Hätte nicht gedacht, dass mir das Gezupfe mal fehlen würde.«
Linus wandte sich wieder ab und wischte die Abtropfschalen aus. »Weißt du, so ein Laden hier, der macht viel Arbeit.«
Er hoffte, das Grinsen, das ihm im Gesicht stand, würde man ihm nicht anhören. »Und die Musik, na ja, die ist ja kein Brotberuf, wie wir festgestellt haben. Und nur so aus Lust und Laune, da muss man sich natürlich überlegen, was einem das bringen soll.«
»Spaß!«, entgegnete Brunssen. »Spaß. Wobei ich natürlich verstehen könnte, wenn du jetzt nicht mehr …«
Linus drehte sich um. »Wir könnten Musik ohne Texte machen. Das würde einem Transparent ohne Schrift gleichkommen.«
Brunssen nickte ernsthaft. »Hm. Keine schlechte Idee. Ich meine, so richtig geile Instrumental-Bands gibt es nicht viele. Contriva fällt mir ein. Vielleicht wäre das sogar eine Lücke am Markt!«
Linus hob abwehrend die Hände. »Wer spricht denn hier gleich vom Markt?« Er genoss diesen unerwarteten Rollentausch.
»Nur so ein Gedanke«, sagte Brunssen. »Das Geile an Musik ohne Text wäre ja tatsächlich, dass man es auch für Soundtracks und als Jingles und was weiß ich wofür nutzen könnte. Also die Verwertbarkeit wäre multi, dingens …«
Linus hob die Augenbrauen.
»Äh, egal. Lassen wir das.«
Linus nickte. »Aber wenn du mal nen Babysitter brauchst …«
Cathy ist etwas dicker geworden, seit Linus sie das letzte Mal gesehen hat. Aber sie hat immer noch die gleiche liebenswerte
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