Ausgewechselt
an.« Der Vater lachte stolz. »Ist es schon wieder so weit?«
Leo reagierte nicht und setzte den Helm auf. Enrico sah ihm dabei zu und bemerkte: »Deine Haare sind noch nass.«
»Wir sehen uns zu Hause.«
»Ich fahre dir hinterher.«
Der Helm ließ nur die Nase und die Augen frei, Leos leuchtende Augen, groß und klar, wie die einer Katze. »Nein, ich nehme die Abkürzung, das geht schneller. Schließlich muss ich mir die Haare föhnen, stimmt’s?«
Er drehte den Zündschlüssel und gab Gas. Sein Vater blickte ihm nach und sah zu, wie er auf die Hauptverkehrsstraße abbog.
Das Spiel
DerTagfingschonschlechtan.DraußenließsichnureinHauchvonHelligkeiterahnen,denmankaumalsTageslichtbezeichnenkonnte.ImgrellenNeonlichtderKüchespiegeltesichLeosblassesGesichtschemenhaftinderbeschlagenenScheibedesFensters.DieMilchwarzuheiß,seineMuttermüdeundschlechtgelauntundseinBruderJonasangsolautwieeineSireneundsorgtefürDurcheinander.ErhattedasGlück,erstdreiJahrealtzusein,eswarihmegal,obSommeroderWinterwar,schönesoderschlechtesWetter,sowieheute.UnddassderWeckerheuteimMorgengrauengeläutethatte,obwohlSonntagwar.AberinwenigenStundenbeganndasSpiel.
Enrico sah ihn fragend an, dann wandte er seinen Blick nach draußen und rieb sich die Hände, als fröstelte er schon beim bloßen Anblick des miesen Wetters. »Hoffentlich klart es noch auf«, bemerkte er lapidar.
Leo sagte nichts, er wusste schon jetzt, dass der Platz matschig und kalt sein würde, jeder Schritt mit den Fußballschuhen würde schwerfallen, bei jedem Sturz würde der Schlamm spritzen. Der nasse Ball würde kaum zu beherrschen sein, jedes Abspiel ein Risiko, nur allzu leicht könnte der Ball beim Gegner landen. Mit zunehmender Spieldauer würde der Ball schwer wie ein Stein werden, bei jedem Pass würde ihnen der Schlamm entgegenspritzen. Und ein Tor zu machen würde zur Herausforderung, denn mit dem glitschigen Ball wäre ein Volleyschuss oder gezieltes Passspiel fast unmöglich. Wenn man aber den Ball nicht voll trifft, weiß man nie, wo er hinfliegt, es kann sogar sein, dass er sich wie ein Kreisel um sich selbst dreht.
»Vielleicht erklären sie den Platz für unbespielbar«, dachte er laut.
»Das wäre eine Sauerei, gerade heute.« Die Miene seines Vaters verfinsterte sich. »Warum muss ausgerechnet heute so ein Mistwetter sein?«
»Es war vorhergesagt«, murmelte seine Mutter nach einem Gähnen. Enrico zündete sich eine Zigarette an und gab einen seiner typischen Kommentare ab: »Reiner Zufall.«
Das hatte er schon tausend Mal gesagt und auch Gisella hatte schon tausend Mal erlebt, dass die Wettervorhersagen falsch gewesen waren. Aber so waren die beiden eben, sie liebten diese Rituale. Immer die gleichen Antworten auf die gleichen Fragen, als ob jeder neue Tag die Tage davor auslöschen würde und man immer wieder von vorne beginnen müsste, mit den gleichen Worten und der gleichen Lautstärke und Klangfarbe. Und manchmal ertappte sich auch Leo dabei, dass er die gleichen Sätze sagte, vielleicht sogar mit der gleichen Intonation. Aber er merkte es erst, nachdem er sie ausgesprochen hatte. Und seltsamerweise war niemand verwundert oder beschwerte sich: »Hey, das war mein Satz!« Im Gegenteil. Wenn er sagte: »Es war vorhergesagt«, dann antwortete seine Mutter mit Sicherheit: »Reiner Zufall.« Als ob es eine Verpflichtung wäre, eine vorgegebene Regel.
Enrico zog an seiner Zigarette und betrachtete Leo kritisch. »Machst du dir Sorgen?«
»Nein.«
»Was ist dann los?«
»Ich spiele nicht gerne auf nassem Boden.«
»Das macht keiner gerne. Das geht auch den anderen so, vielleicht kannst du sogar einen Vorteil daraus ziehen.«
»Und welchen?«
MitExpertenmienestießEnricodenRauchaus.»Ambestenspielstduso,alsgäbeeskeinenNebelundkeinenRegen,alswärederPlatztrockenunddasWettersonnig.AlswürdeesdirSpaßmachen,durchdiePfützenzurennenundindenMatschzufallen.«
Tolle Idee. Leo versuchte an die Worte seines Vaters zu denken, als er nach dem Umziehen durch die Nebelsuppe stapfte. Der Atem der Spieler verwandelte sich in weiße Wolken, die sich wie ein Spinnennetz über das Spielfeld legten, durchlöchert von den gelben Lichtpunkten der Stadionbeleuchtung. Auf der Tribüne wärmte sich Enrico die Hände zwischen den Oberschenkeln, den Kopf hatte er tief zwischen die Schultern geduckt, die Wollmütze bis zu den Augen hinuntergezogen. Er sah aus wie eine unvollendete Statue, starr und unbeweglich.
In der Reihe darunter saß der Mann, der gekommen war,
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