Ausgeweidet (German Edition)
wirkt Beyer ganz anders, unsicher, unbeholfen und ziemlich angespannt. Bei unserem Besuch hat uns ein ehemaliger Kollege gegenüber gesessen, der souverän war. Erklären kann ich mir das nicht. Willst du die Fahrzeugkontrolle abblasen? Jetzt wissen wir ja, mit wem wir es zu tun haben.«
»Nein. Ich möchte wissen, wie Beyer reagiert.«
Maria schaut ihn verwundert an.
»Nur so ein Gefühl.«
24.
Sonntagabend Petit Salon. Nachdem Senta Hartmann die letzte Zugabe präsentiert hat, steht Clemens von Bühlow auf und begibt sich langsam in Richtung Ausgang. Jürgen Beyer geht an ihm vorbei, ohne ihn wahrzunehmen, und verlässt vor ihm den Salon über die alte Treppe im Inneren des Hauses. Kaum hat der Hauptkommissar die Außentreppe betreten, sieht er, wie Beyer in sein Auto steigt und losfährt. Er geht einige Stufen tiefer und lehnt sich über das Geländer. Am Ende der Straße erkennt er die Polizeikontrolle, zwei Streifenpolizisten mit ihrem Dienstfahrzeug. Das Auto von Beyer wird herausgewunken. Doch Beyer startet durch. Der zweite Kollege kann nicht mehr rechtzeitig zur Seite springen. Selbst aus der Entfernung hört Clemens das Geräusch des Aufpralls, als der Wagen von Beyer den Polizisten erfasst und ihn auf den Asphalt schleudert.
Clemens rennt die Außentreppe hinunter, überquert die Straße, schließt seinen Porsche auf und startet. Mit quietschenden Reifen dreht er und rast los. An der Unglücksstelle angekommen, sieht er, dass der Polizist mit Erster Hilfe versorgt wird. Er gibt erneut Gas.
Am Stresemannplatz ist von dem Passat nichts mehr zu sehen. Entweder nach rechts Richtung Flingern oder nach links Richtung Oberkassel. Intuitiv entscheidet er sich für links, da kommt Beyer um diese Uhrzeit schneller voran, und das wäre auch der Weg nach Heerdt. Clemens setzt das mobile Blaulicht aufs Dach und beschleunigt. Nach kurzer Zeit sieht er hundert Meter vor sich Rückleuchten, die zu einem alten Passat passen könnten. Er beschleunigt erneut und kommt näher heran. Es ist der Wagen von Beyer, der bald den Graf-Adolf-Platz erreichen wird.
Um diese Uhrzeit sind nicht mehr allzu viele Menschen unterwegs, doch spätestens jetzt wird es brenzlig. Eine Straßenbahn kommt von der Friedrichstraße und erreicht die Kreuzung. Der Fahrer klingelt wie verrückt.
»Nicht klingeln! Bremsen!«, hört Clemens sich rufen, da leitet der Fahrer die Notbremsung ein. Ein großer Lärm, eine Mischung aus Quietsch- und Schleifgeräuschen, dröhnt durch die nächtliche Stadt. Beyer kommt mit seinem Wagen nur knapp am Führerhaus der Bahn vorbei, das sich weit in die Kreuzung geschoben hat. Er muss das Blaulicht bemerkt haben, denn sein Wagen nimmt wieder Fahrt auf. Mittlerweile hat er die Haroldstraße erreicht und fährt zum Rheinufertunnel.
Da passiert es. Die Tunnelzufahrt ist nicht für diese hohe Geschwindigkeit ausgerichtet. Der Passat knallt ungebremst gegen die Betonwand. Clemens, der das Unglück hat kommen sehen, hatte schon vorher abgebremst. Er kann den Porsche nur mühsam zum Stehen bringen. Er springt heraus und läuft zum Autowrack. Die Motorhaube ist nur noch ein Klumpen Blech, der Motor hat sich in den Fußraum geschoben. Beyer hängt bewusstlos in den Sicherheitsgurten, der Wagen qualmt.
Der Hauptkommissar reißt die Tür auf, löst den Sicherheitsgurt und greift Beyer gekonnt unter die Arme. ›Gott sei Dank ist der nicht auch noch eingeklemmt‹, schießt es ihm durch den Kopf. Er schleift ihn ein gutes Stück vom Auto weg. Inzwischen sind zwei Polizeistreifen eingetroffen und riegeln die Einfahrt in den Tunnel ab. Ein Knall, der Passat brennt auf. Einer der Streifenpolizisten versucht, mit einem Feuerlöscher den Brand zu bekämpfen. Der andere ruft dem Hauptkommissar zu, dass der Notarzt gleich da sei.
Clemens spricht den Schwerverletzten an, rüttelt ihn leicht an der Schulter. Jürgen Beyer zeigt keine Reaktion. Schnell kontrolliert er Puls und Atmung. Kaum zu spüren. Mit schnellen Handgriffen reißt er Beyer das Hemd auf und beginnt mit der Herzdruckmassage. Dreißg Mal drückt er den Brustkorb hinunter, dann beatmet er ihn zwei Mal, bevor er wieder dreißig Mal mit seinem Körpergewicht den Brustkorb des Verletzten niederdrückt. Ihm steht die Anstrengung ins Gesicht geschrieben, doch er macht unbeirrt weiter, bis er die Hand des Notarztes auf seiner Schulter spürt. Auch wenn es ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen ist, der Notarztwagen brauchte nur drei Minuten.
Der Notarzt übernimmt die
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