Außer Atem - Panic Snap
weißt ja gar nicht, was geschehen ist.«
»Ich weiß, dass Gina Anna nicht getötet hat. Wie lange ist es her, dass du die Zeitungsartikel zuletzt gelesen hast? Fünfzehn Jahre?«
Er antwortet nicht.
»Es steht nur in einem, nur eine kurze Bemerkung – Gina hat sich zum Zeitpunkt des Unfalls in San Diego aufgehalten.«
Er zuckt die Achseln. »Ein Druckfehler.«
»Deine Mutter hat es bestätigt: Gina war nicht hier.«
Er will etwas sagen, doch ich unterbreche ihn. »Und was das Gedicht in Ginas Stiefelkarton betrifft – das hast du geschrieben. Du hast es für mich dort hineingelegt; ich sollte mir sicher sein, dass Gina die Schuldige war. Doch sie war es nicht. Du hast Anna getötet. Und du hast auch mich fast getötet.«
»Falsch«, sagt er und fügt hinzu: »In beiden Fällen.«
Ich gehe zum Telefon hinüber und nehme es auf.
Er wirft mir einen vernichtenden Blick zu. Ich warte darauf, dass er endlich mit der Wahrheit herausrückt, doch er sagt kein Wort. Seine Lippen sind zu einer harten, trotzigen Linie zusammengepresst.
Ich fange an zu wählen.
»Du wirst doch nicht meine Mutter anrufen wollen?«, sagt er schließlich. Sein Gesicht ist wie aus Granit gemeißelt, starr und widerstrebend, und die Verachtung in seinem Blick ist fast mit Händen zu greifen. »Du möchtest doch wohl nicht, dass sie sich das hier anhört.«
Ich lege das Telefon ab. Warte.
Er sagt: »Von wem soll ich dir zuerst erzählen – von dir oder von Anna?« Maliziös lächelnd beantwortet er seine Frage selbst. »Anna spare ich mir für später auf. Du bist mit deinen Beuteln in den Händen eine Woche nach Annas Tod in mein Haus gekommen und hast darauf bestanden, dass ich dich nun heiraten sollte, da sie doch tot war. Das Zimmer, das du in der Stadt gemietet hattest, hattest du aufgegeben. Ich habe dich ausgelacht – deine absurde Forderung – und dir gesagt, dass du verschwinden solltest. Da bist du wütend geworden. Du bist mir hier rauf gefolgt und hast geschrien und gekreischt und erklärt, du wolltest der Polizei sagen, dass ich Anna getötet habe. Dann hast du Geld verlangt. Ich habe nur gelacht, und das hat dich noch wütender gemacht. Als ich mich abwandte und gehen wollte, hast du den Schürhaken vom Kamin genommen, mich damit geschlagen und mir eine klaffende Wunde in die Schulter gerissen. Ich bin wütend auf dich losgegangen, aber du hast wieder ausgeholt und mich an der Schläfe erwischt.«
Ich betrachte die Narbe auf seiner Schulter und die an der Schläfe – er hat nie über sie sprechen wollen.
Er fährt fort: »Ich habe dich bei der Kehle gepackt und gewürgt, und dann habe ich aus dem Augenwinkel plötzlich Gina gesehen. Sie war in der Küche gewesen, als du kamst; als sie unseren Kampf hörte, war sie nach oben gekommen. Sie schrie, ich solle aufhören, schnappte sich den Baseballschläger und kam dann auf mich zu. Sie nahm an, dass ich Anna getötet hatte, und dachte, nun würde ich dich auch noch töten. Ich sprang zurück, und statt mich zu treffen, traf sie deinen Kopf mit voller Wucht. Du bist gegen das Dachfenster geknallt, hast es durchschlagen und bist in den Hof gestürzt, auf den Beton.«
Seine Worte treffen mich wie ein dumpfer Schlag, weniger heftig, als ich erwartet hatte. In all diesen Jahren habe ich nach dem gesucht, der mich angegriffen hat, und nun scheint es überhaupt keinen Angreifer zu geben. Es war ein Unfall. Natürlich könnte er lügen, denke ich, und ich erwäge das auch, doch irgendwie bin ich sicher, dass er die Wahrheit sagt. Ich weiß nicht, woher ich diese Gewissheit nehme – ich habe mich schon so oft geirrt –, doch was er sagt, klingt für mich einfach wahr. Irgendwo in meiner Erinnerung gibt es einen Bezug dazu. Ich schaue zum Fenster hinüber. Da hinaus bin ich also gefallen, nicht von der Laufplanke.
»Wenn Gina sich nicht eingemischt hätte«, frage ich, »hättest du mich dann getötet?«
Er zuckt mit den Schultern. »Du hast mich mit dem Schürhaken angegriffen, und ich habe reagiert. Es ist einfach geschehen.«
»Erzähl mir den Rest«, sage ich.
»Mach mir erst die Beine los. Sie verkrampfen sich.«
Ich rühre mich nicht.
»Wenn du den Rest hören willst, musst du mir die Beine losbinden.«
Auch mit ungefesselten Beinen kommt er hier nicht weg. Er sitzt noch immer in dem Ledersitz, an beiden Armen gefesselt. Ich öffne die Klammern an den hinteren Gurten, und danach mache ich seine Füße los. Er stellt sie auf den Boden, bewegt sie, streckt
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