Außer Atem - Panic Snap
etwas Unvorhersehbares getan – er hat sich in der Luft gedreht und mich mit seinem Körper geschützt, indem er die volle Wucht des Aufpralls auf sich nahm. Hat er das getan, um meinen Sturz abzufedern, oder war es gar nicht beabsichtigt? Diese Frage wird nie beantwortet werden. Ich wünschte, ich könnte glauben, dass seine letzte bewusste Handlung ein Akt der Liebe war, dass er sich, in einer plötzlichen Wallung von Mitmenschlichkeit, geopfert hat, um mich zu retten. Ich wünschte, ich könnte das glauben, doch ich kann es nicht. Das war kein Sinneswandel. Er wollte, dass ich sterbe.
In einigen Jahren werden sich meine Erinnerungen an das, was hier geschehen ist, verändert haben. Die Wahrheit, niemals absolut, wird sich im Laufe der Zeit verschieben. Schließlich lerne ich gerade, dass die Erinnerung, im Gegensatz zu einem Puzzle, nie konkret und unveränderlich ist. Sie fließt wie ein Strom, der neue Rinnen auswäscht und im Verlauf der Zeit und mit zurückgelegter Entfernung immer wieder die Richtung ändert. Die Erinnerung gleitet, kommt nie zur Ruhe. Es ist das Ereignis, an das ich mich nicht erinnern kann – dass ich gefühllos daneben stand, als Anna starb –, was in der Zeit eingefroren wurde.
Ich schaue auf und sehe Mrs. McGuane an einem der Fenster im oberen Stockwerk stehen. Sie starrt zu mir herab, ihr weißes Haar ist zur Seite gebürstet, und ihr Gesicht ist von einer Traurigkeit gezeichnet, die nie mehr vergehen wird. Sie macht mir keine Vorwürfe wegen des Todes ihrer Kinder. Ich mag zwar keine Schuld haben, doch ich weiß, dass ich der Auslöser war. Wäre ich nie hier aufgetaucht, wäre ihre Familie unversehrt. Ich habe ihr James und Gina genommen, sie hat niemanden mehr. Ich würde bleiben, wenn sie mich darum bäte. Ich würde gern bleiben, doch sie möchte mich nicht mehr um sich haben. Ich schaue sie an, wie sie allein am Fenster steht und mit einer Hand den Vorhang offen hält. Im Prozess hat sie für mich ausgesagt. Sie hat meine Wahrheit akzeptiert. Die meisten Leute verstehen nicht, warum sie einer Frau helfen wollte, die ihr solchen Kummer bereitet hat, doch sie wissen nicht, dass sie die Schuld ihrer Kinder angenommen hat: Die beiden hatten mich zum Sterben verurteilt. Sie hat um meinetwillen eine Bürde auf sich genommen – und ist nun mir eine geworden.
Ich bleibe im Auto sitzen und beobachte sie. Es gibt nichts mehr zu sagen. Sie möchte mich hier nicht mehr haben. Sie hebt die Hand zu einem stummen Abschied, dann wendet sie sich langsam ab. Ich lasse den Motor an, rolle über den Kiesweg und spüre, wie mein Magen sich zusammenkrampft bei dem Gedanken, dass ich nie hierher zurückkehren werde. Byblos ist für mich einem Zuhause am nächsten gekommen, und Mrs. McGuane der Mutter, die ich nie hatte. Wieder einmal muss ich ganz von vorn beginnen.
Ich fahre den Weg hinunter, der das Anwesen der McGuanes in zwei Teile zerschneidet. Die Rebstöcke ruhen sich jetzt aus wie Winterschlaf haltende Bären, warten darauf, dass sie irgendwann von wärmerem Wetter zu neuem Leben erweckt werden. Ich habe einen Job in San Francisco – wenn ich ihn will.
Langsam fahre ich an der Kellerei vorbei, und dann taucht die Einfahrt vor mir auf mit ihren beiden Steinsäulen. Ein unerwartetes Gefühl der Erleichterung erfasst mich, und ich atme leichter, als verlören die Geister der Vergangenheit soeben ihre Macht über mich. Ich habe weder ein Heim noch den Trost von Mrs. McGuane, aber ich habe es geschafft, lebend hier wegzukommen. Es wird mir noch eine Lebenschance gewährt. Ich fahre zwischen den Pfeilern hindurch und biege links in die Straße ein. Natürlich wollte sie mich nicht bitten zu bleiben. Ganz langsam beginne ich zu verstehen, dass die Befreiung von Byblos ein Geschenk für mich bedeutet, ein Geschenk, das Mrs. McGuane mir gemacht hat.
Danksagung
Mein tief empfundener Dank gilt zwei ganz besonderen Menschen: meiner Agentin Barbara Lowenstein für den Abschluss der Verträge und meinem Lektor Charles Spicer dafür, dass er mich begleitet hat. Dieses Buch gehört ihnen genauso wie mir.
Ich danke auch allen, die unermüdlich meine vielen Fragen beantwortet haben: den Winzern, den Arbeitern in den Weinbergen und den Kellerratten – die viel zu zahlreich waren, als dass ich sie einzeln erwähnen könnte – in den diversen Weinkellereien im Napa Valley; den Professoren der Davis-Abteilung für Weinbau und Önologie an der Universität von Kalifornien; Jeff Brinkman, Winzer in der
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