Außer Atem - Panic Snap
aufgestanden, immer noch in dem Ledersitz, und streckt den eingegipsten Arm nach oben. Sein anderes Handgelenk ist noch an dem Ledergurt fixiert. Erst erkenne ich gar nicht, was er macht, doch geht mir auf, dass er versucht, den Panikverschluss zu lösen. Wenn er da herankommt, kann er die Schlinge von der Kette lösen und sich befreien. Ich laufe hin, packe seinen Arm und versuche, ihn herunterzuziehen, doch er ist selbst mit einem Arm stärker als ich mit beiden. Wir kämpfen miteinander. Da ich seine Beine losgemacht habe, hat er einigen Bewegungsspielraum. Er dreht sich, zerrt mich mit sich. Ich sehe seinen entschlossenen Blick – und die drohende Gefahr. Wenn er sich befreit, werde ich keine zweite Chance haben. Verzweifelt zerre ich an seinem Arm, kämpfe darum, ihn herunterzuziehen, doch es gelingt mir nicht. Unbeeindruckt von meinen vergeblichen Bemühungen, fummelt er an dem Panikverschluss herum. Und nun wird mir klar, dass er ihn gar nicht lösen kann. Der Gipsverband reicht bis über die Finger, fast bis zu den Fingerspitzen. Er kann nicht zugreifen. Sobald ich das begriffen habe, springe ich zurück – doch es ist zu spät. Er reagiert sofort, stürzt sich auf mich, umklammert meine Taille mit dem eingegipsten Arm und presst mich an sich. Der Verband gräbt sich mir in die Seite.
»Ich wollte es nicht so«, sagt er, »aber du lebst ein geliehenes Leben. Du wärst besser vor fünfzehn Jahren gestorben.«
Ich versuche, von ihm loszukommen, doch sein Arm hält mich eisern umklammert.
»Die Kette lässt mir genug Spielraum, um aus dem Fenster zu springen«, sagt er, geht auf das große Bogenfenster zu und zieht mich hinter sich her. Ich blicke hinab auf den betonierten Hof und die schmiedeeisernen Terrassenmöbel.
»Das mit der Schlinge hast du gut gemacht«, sagt er. »Die Kette wird mich zurückziehen. Für mich besteht keine Gefahr. Doch du bist weniger gut dran. Ich werde dich fallen lassen – und diesmal wirst du den Sturz nicht überleben.«
Ich grabe meine Finger in seine Haut, kratze und beiße ihn, trete um mich, doch er lässt mich nicht los. Ich greife nach seinem Gesicht, nach seinen Augen. Mit einer Kopfdrehung kann er mir ausweichen. Er tritt vom Fenster zurück, geht so viele Schritte rückwärts, wie die Kette erlaubt, und bleibt stehen. Er will Anlauf nehmen.
»Das wirst du nicht tun«, sage ich, obwohl ich weiß, dass er es tun wird. Meine Stimme ist erstickt vor Angst, vor Entsetzen bei der Erinnerung daran, wie ich damals ausgesehen habe.
Er schaut mich an. Sagt: »Ich habe vermutet, dass unsere Reise so enden wird. Ich weiß, dass du mir das nicht glauben wirst, aber ich hatte tatsächlich eine Schwäche für dich. Ich habe gehofft, dass es anders enden würde. Wir
waren
gut zusammen.«
»Du wirst es nicht tun«, sage ich verzweifelt, gehetzt. »Du liebst mich – ich weiß es.« Inzwischen weine ich, beschwöre ihn, hämmere vergeblich mit geballten Fäusten auf ihn ein.
Er starrt ins Leere. Spannt sich an, ist auf dem Sprung.
»Du wirst mir nichts tun«, schluchze ich. »Annas Tod war nicht geplant. Du bist kein kaltblütiger Mörder.«
Er wirft mir einen flüchtigen mitleidigen Blick zu. »Doch«, sagt er, »das bin ich«, und dann setzt er sich in Bewegung, rennt auf das Fenster zu. Meine Eingeweide verkrampfen sich. Der Raum verschwimmt, ich sehe nur das Fenster drohend näher kommen, immer näher, und selbst in meiner Panik denke ich, es muss doch etwas oder jemand kommen und das verhindern, bitte, Gott, halt es auf, doch es wird nicht aufgehalten, das Fenster ist unmittelbar vor mir, und ich weiß, dass ich sterben werde. Ich fasse nach oben, als wir durch das Fenster krachen; das Klirren des splitternden Glases und meine eigenen Schreie dröhnen mir in den Ohren. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist meine Hand am Panikverschluss, wie sie ihn hochzieht und James von der Kette löst und sein überraschter Gesichtsausdruck, während wir beide durch die Luft wirbeln.
30
Ich versuche, weder an das Urteil zu denken noch an die zwölf Männer und Frauen, die über mein Schicksal zu entscheiden haben, doch natürlich kann ich an nichts anderes denken. Ich gehe in dem kleinen Raum auf und ab, den sie Aufenthaltsraum nennen, der aber kaum größer ist als eine Zelle. Hinkend gehe ich hin und her, von der grauen Westwand zur verschlossenen Tür und wieder zurück, und komme nicht von der Frage los, ob ich nun ins Gefängnis muss oder freigelassen werde. Mein Anwalt hat
Weitere Kostenlose Bücher