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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Erfahrung und aus der praktischen Vernunft kommen.
    Ob Regierung oder Opposition, die Politiker insgesamt brauchen ökonomischen Überblick. Deshalb sind sie auf den Kontakt mit den Wirtschaftenden angewiesen, mit Unternehmern, Managern und Gewerkschaftern. Ich jedenfalls habe es so gehalten. In der Summe waren meine Gespräche mit Bankern am ergiebigsten. Die Liste derer, mit denen ich mich über ökonomische und finanzpolitische Fragen austauschte, reichte von Hermann Josef Abs und seinen Nachfolgern an der Spitze der Deutschen Bank bis zu Alfred Herrhausen, von Karl Klasen an der Spitze der Bundesbank bis zu Paul Volcker und Alan Greenspan an der Spitze der amerikanischen Fed (Federal Reserve System), von Horst Köhler an der Spitze des IMF (International Monetary Fund) bis zu Zhou Xiaochuan an der Spitze der People’s Bank of China. Am meisten haben mir einige Chefs von kleineren Privatbanken gefallen, die umsichtig und vorsichtig das Vermögen ihrer Kunden verwalteten. Inzwischen ist mein Vertrauen in die Klugheit von Bankvorständen leider einer erheblichen Skepsis gewichen.

Institutionen, Hierarchien und Loyalitäten
    Während ich im persönlichen Gespräch mit Personen, deren Kompetenz und Urteilskraft ich vertraute, zeit meines Lebens viel lernen konnte, habe ich von institutioneller Beratung nie viel gehalten. Gremien, Kommissionen und sonstige Beratungsinstitutionen, die lediglich Gutachten erstellen und Empfehlungen aussprechen, aber nicht selbst handeln müssen, haben nur selten wirksamen politischen Einfluß. Viele Ministerien verfügen über einen »wissenschaftlichen Beirat«; diese Institutionen bestehen in der Regel aus ausgewiesenen Hochschullehrern und anderen Akademikern des jeweiligen Fachgebietes, ihre Tätigkeit ist meist ehrenamtlich. Es kommt ziemlich selten vor, daß ein Minister oder einer seiner leitenden Beamten den Beirat in einer speziellen Frage um ein Gutachten oder auch nur um einen Ratschlag ersucht. Oft arbeitet der Beirat über Themen seiner eigenen Wahl, ohne daß der Minister daran sonderlich interessiert ist. Dem Minister mag es schon genügen, daß er seinen Beirat fragen könnte, die bloße Existenz eines Beirates schmückt ihn ja hinlänglich.
    Im Rahmen eines Forschungsbeirates beim Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen gab es über Jahrzehnte eine Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, die regelmäßig einen Überblick über die ökonomische Entwicklung der DDR erstellte. Als 1990 im Zuge der Vereinigung höchst bedeutsame ökonomische Fragen zu entscheiden waren und es deshalb auf eine richtige Einschätzung der wirtschaftlichen Lage im Osten Deutschlands ankam, blieben die Ergebnisse dieser Forschung völlig unbeachtet. Das vorhandene fachliche Wissen wurde von der Bundesregierung nicht abgerufen (und 1994 wurde die Forschungsstelle aufgelöst).
    Seit Jahrzehnten ist der aus Professoren zusammengesetzte Sachverständigen-Rat »zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« (S.V.R.) das wichtigste Beratungsinstitut der Bundesregierung. Der S.V.R. verfügt über einen hauptamtlichen Stab aus meist sehr tüchtigen, akademisch ausgebildeten Ökonomen. Seine Jahresgutachten sind umfassend, bis zu 700 Druckseiten stark, gefüllt mit Zahlen und Details. Zugespitzt könnte man sagen: Es finden sich jedesmal mehrere Doktorarbeiten und eine Habilitationsschrift in einem einzigen Band. Ich kenne aber keinen Finanz- oder Wirtschaftsminister, der jemals selbst eines dieser voluminösen Jahresgutachten zur Gänze gelesen oder gar durchgearbeitet hat. Es ist also kein Wunder, daß der große Aufwand zumeist ohne praktische Folgen bleibt.
    Hinzu kommt, daß eine größere Zahl universitärer, privater und staatlicher Wirtschaftsforschungsinstitute dem Sachverständigenrat höchst öffentlichkeitswirksame Konkurrenz macht. Sie publizieren in regelmäßigen Abständen kurzgefaßte Gutachten zu aktuellen Themen; ebenso regelmäßig erklären sie, warum ihre letzte Vorhersage nicht oder nicht ganz eingetroffen ist, erstellen eine neue Prognose, und damit treten die Chefs dann im Fernsehen auf. Da viele deutsche Ökonomen überdies bestimmten Lehrmeinungen anhängen, die sie bei ihren öffentlichen Auftritten einfließen oder durchblicken lassen, kommt oft nicht mehr dabei heraus als Verwirrung des Publikums. Die Politiker aber picken sich aus dem Bericht des S.V.R. heraus, was ihnen paßt. Daß dergleichen auch in anderen Ländern geschieht,

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