Ausser Dienst - Eine Bilanz
mittelständischen Unternehmer Hamburgs – keiner von ihnen hat Macht- und Prestigekämpfe mit einer Gewerkschaft geführt – konnten sich auch wegen ihres bescheidenen persönlichen Lebensstils in Deutschland sehen lassen. Der angeberische öffentliche Auftritt lag ihnen nicht.
Ganz anders die ehemaligen Bergassessoren, die man in den Sechzigern und Siebzigern auch die Ruhrbarone nannte. Zwar waren sie angestellte Manager, in einigen Fällen auch Erben bedeutender Väter und Großväter, aber manche traten recht selbstherrlich auf. Sie behängten ihre Ehefrauen mit kostbaren Edelsteinen und zeigten gern ihren großen Wohlstand. Es gab unter ihnen unangenehme, rechthaberische Typen. Dagegen hat mir die Sachlichkeit von Managern wie Herbert Grünewald bei Bayer in Leverkusen, Hans Merkle bei Bosch in Stuttgart oder Berthold Beitz bei Krupp in Essen imponiert. Natürlich hatten auch sie die Interessen ihrer Firma und ihrer Branche zu vertreten, aber dadurch war ihnen nicht der Blick für das Ganze verstellt. Man konnte ihrer fachlichen Urteilskraft und ihrem Anstand vertrauen. Merkle habe ich über Jahre als den inoffiziellen Doyen der deutschen Managerklasse empfunden. Er war kühl, abweisend und wortkarg, aber sein sachliches und sein moralisches Urteil war unbestechlich.
Auch unter den Gewerkschaftsführern gab es Menschen von sehr verschiedenen Qualitäten. Manche haben den pekuniären Versuchungen, denen sie durch ihre Stellung ausgesetzt waren, nicht widerstanden. Andere waren als Aufsichtsräte oder als Manager der gewerkschaftseigenen oder gewerkschaftsnahen Unternehmungen ihren Aufgaben nicht gewachsen; sie haben den Niedergang der »Bank für Gemeinwirtschaft« und der »Neuen Heimat« zu verantworten. Die große Mehrzahl der gewerkschaftlichen Führer, denen ich begegnet bin – auch sie waren und sind heute natürlich festangestellte und besoldete Manager–, ist jedoch menschlich anständig und aufrichtig gewesen. Natürlich vertraten sie mit Nachdruck die materiellen Interessen ihrer Mitglieder, und dabei trübte ihnen die Aussicht auf einen schnellen Erfolg oft genug den Blick für die Folgewirkungen – schließlich waren sie davon abhängig, demnächst wiedergewählt zu werden. Ebenso zwangsläufig mußten ihnen Einfluß, Prestige und Macht ihrer Gewerkschaft am Herzen liegen. Gleichwohl haben die meisten der deutschen Gewerkschaftsführer, mit denen ich zu tun hatte, das Augenmaß für das Mögliche nicht verloren. Auf die gesamtwirtschaftliche Verantwortung von Männern wie Hermann Rappe (IG Chemie), Eugen Loderer (IG Metall) oder Ernst Breit (DGB) konnte man bauen. Allerdings gab es auch linksextreme Agitatoren wie Detlef Hensche, einen Vorläufer jener Gewerkschaftsfunktionäre, die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts zur Gründung linker Parteien berufen fühlten.
Insgesamt sollte man die in Westdeutschland in den späten vierziger Jahren getroffene Entscheidung, die parteipolitisch oder religiös gebundenen Gewerkschaften der Weimarer Zeit nicht wiederherzustellen, sondern statt dessen Einheitsgewerkschaften zu gründen, als eine weitsichtige Entscheidung respektieren. Damit wurde einer übermäßigen Politisierung der Gewerkschaften entgegengewirkt und ihre politische Unabhängigkeit gestärkt. Ich erinnere mich gut an die erheblichen Kontroversen, die dieser Entscheidung vorausgingen; als erfolgreiche Anwälte der Einheitsgewerkschaft stehen mir besonders Hans Böckler und der Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning vor Augen.
Anders als in der ehemaligen DDR, wo die Gewerkschaft am Gängelband der diktatorisch regierenden SED laufen mußte, anders als in England, wo parteipolitisch fixierte und zugleich machtgierige Gewerkschafter in den siebziger Jahren die Wirtschaft zu ruinieren drohten, bis Margaret Thatcher ihrerseits die Gewerkschaften ruinierte, anders auch als in Frankreich oder Italien sind wir in Deutschland mit dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft gut gefahren. Es hat uns ein hohes Maß an sozialem Frieden beschert. Der Interessenkonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird unserer Wirtschaft auch künftig immanent bleiben. Ihn zu moderieren und zu kanalisieren bleibt eine ständige Aufgabe der Tarifpartner – aber auch, bei allem Respekt vor der Lohntarif-Autonomie, der Regierenden. Dies ist ein Feld, auf dem das Grundgesetz, die Grundrechte und die Grundwerte kaum je einen konkreten Urteilsmaßstab bieten können. Vielmehr müssen die Maßstäbe aus der praktischen
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