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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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haben können, oder? Wolltest du nicht? Sebastian hätte schon gewollt, nicht wahr, so wie er mit Kindern umgehen konnte. Erinnerst du dich? Er hat lieber mit den Kindern gespielt, als dass er mit uns spazieren ging. Schade. Bernd! Was ist? Darf man darüber nicht reden? Nicht aussprechen, woran alle denken. Was hätte sein können. Dass es nicht mehr sein wird. Katja, du bist immer noch in der Phase der Wut, der Auflehnung, aber du musst trauern, Katja, nur wer getrauert hat, kann sein Schicksal annehmen. Und nur wer das Schicksal annimmt, kann loslassen. Bernd, sagte Jana, er ist nicht tot! Das ist genau der Punkt, sagte Bernd. Nein, das ist nicht der Punkt, der Punkt ist, du bist nicht ihr Psychologe. Ihre Stimme klang schrill, genervt. Bernd warf ihr einen Blick zu. Er lächelte. Der Blick war grau. Als freue er sich auf eine Zukunft, die er zum Kotzen fand. Du musst immer jeden analysieren und beurteilen, sagte Jana, die Kinder, mich, jetzt Katja! Er legte den Arm um Janas Schultern. Sie nimmt immer alles so todernst, sagte er und sah mich an. Lächelte. Lachte. Ich musste schon die ganze Zeit an Mutters Guru denken. Jana versuchte, sich frei zu machen. Es sah aus, als balgten die zwei aus Spaß. Als sei dies ein oft erprobtes Spiel. Seit wir hier leben, sagte Bernd, ist meine Frau gegen jede Art von Veränderung. Als habe das Landleben sie zur Mumie gemacht. Als seist du zu einer deiner Puppen geworden, gell. Man muss dich wecken, sonst bleibst du für den Rest deines Lebens hängen über den Balken in der Scheune. Und du bist mit nichts zufrieden, nie, konterte Jana aggressiv, du solltest mal deine eigenen Frustrationen analysieren. Jetzt hab ich aber ins Schwarze getroffen, grinste Bernd und sah wieder mich an, als sei ich plötzlich seine Komplizin. Ich hätte ihn am liebsten in die Hand gebissen. Jana schwieg jetzt, sie tupfte mit dem Zeigefinger hektisch die letzten Krümel vom Teller.
    Ich glaube, sagte ich, ich geh jetzt besser.
    Niemand versuchte, mich zum Bleiben zu überreden. Als ich vom Hof fuhr, sah ich sie im Rückspiegel mitten auf dem Weg stehen. Bernd hatte den Arm um Janas Schulter gelegt, beide winkten.
    Ich sah weder rechts noch links. Ich sah vor mir das unebene, löchrige, in der Mitte gewölbte, gescheitelte Kopfsteinpflaster. Ich spürte die harten Stöße, ich fuhr zu schnell. Ich hing an Expandern, die mich nach Berlin zurückzogen. Wohin? Auf der Autobahn erinnerte ich mich an die Wohnung, an unsere ausgestorbene Wohnung. An die hohen, mir zu groß gewordenen, kalten Räume. An das zu breite Bett. Nirgendwo wünschte ich mich hin. Ich hielt bei einer Raststätte an und kaufte Zigaretten. Eigentlich hatte ich ja aufgehört zu rauchen, stattdessen qualmte ich jetzt Kippe um Kippe. Ich wählte Davids Nummer.
    Mein Mann sei ganz unerwartet nach Brüssel geflogen. Ob wir uns treffen könnten? Au ja, sagte er, supertoll! Ich war ein Flickenteppich. Gewoben aus Stoffresten. Hastig schmiss jemand das Schiffchen hin und her. Wob aus Material, das eigentlich weggeworfen gehörte. Die vorbereiteten Fäden mussten noch gefüllt werden. Das ergab kein Bild. Ein knotiges Gewirk aus hellen und dunklen Flecken, durchsetzt von Löchern. Etwas, das niemand aufhängen wollte. Jedem außer David war klar, ich wurde allmählich zu Sebastian. Wie er, war ich versehrt. Nicht mehr normal. Was man halt unter normal versteht. Ich fuhr direkt zu David. Er hatte genug Zeit gehabt, ein Essen vorzubereiten. Ich setzte mich. Entspann dich, sagte er. Kerzen brannten. Eine Bühne, wir sitzen am Tisch. Das Publikum ist nicht zu sehen. Bis in die letzte Hautfalte geliehenes Leben. Man küsst den Schauspieler, man schläft mit ihm. Im richtigen Leben aber würde man diesen Menschen ja niemals küssen. Irgendwann würde die Vorstellung zu Ende sein. Im November, sagte ich, fährt Sebastian zu einem Kongress nach Stockholm, da ist er von Montag bis Freitag weg. Wir könnten doch auch ein paar Tage wohin fahren, was meinst du? David wiegte den Kopf, bevor er quengelnd antwortete, ich solle meinem Mann überhaupt mal von uns erzählen. Von Anfang an wusstest du, sagte ich, dass ich Sebastian nicht verlassen werde.
    David schlug Hamburg vor. Ich war einverstanden. Ich wäre auch mit Wien einverstanden gewesen oder mit London.
    In London war schon Anfang März schönstes Frühlingswetter gewesen, überall blühten Osterglocken. Wir waren Gäste eines saumäßig erfolgreichen Londoner Architekten in seinem saumäßig

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