Außer sich: Roman (German Edition)
luxuriösen Haus in Chelsea. Erwin war dabei, Yolanda, Sebastians Chef und wir. Der Architekt hatte sowohl mit Sebastians Büro als auch mit Erwin zu tun, jedenfalls kannten sie sich alle irgendwie. Wir waren zu seinem fünfzigsten Geburtstag eingeladen. Sebastian hatte von Anfang an schlechte Laune. Die Gespräche beim Essen drehten sich um ein Projekt, das der Typ gerade in Dubai realisierte. Umgeben von wuchtigen modernen Möbeln und, im Kontrast dazu, Pferdestatuetten und Stichen von Parforcejagden. Wir saßen da wie ein altes Kommunistenehepaar, aus Versehen auf eine dekadente Wohltätigkeitsgala geraten, vollgefressen und mit schlechtem Gewissen, zu träge, um aufzustehen und unserer Wege zu gehen.
Später saßen wir Berliner zusammen und redeten dies und das. Über die Moral im Geschäft. Sebastians Chef entschuldigte sich ziemlich bald, er gehe ins Bett.
Irgendwann, ich bekam es gar nicht richtig mit, lief das Gespräch aus dem Ruder. Nein, jetzt hör mal, sagte Erwin, du kannst die Verhältnisse am Golf nicht mit denen hier bei uns vergleichen. Und wenn schon, sagte Sebastian. Was ist mit China, würdest du für China bauen, wenn du die Chance hättest, fragte Yolanda Sebastian, unüberhörbar spöttisch. Warum denn nicht, sagte Sebastian patzig. Warum denn nicht, warum denn nicht, machte Yolanda, ist das so schwer zu verstehen? So wie ich dich gerade verstehe, sagte Sebastian, würdest du ja offenbar auch nicht für die Amis bauen, solange es Guantanamo gibt, oder? Komm schon, Yolanda, was soll das überhaupt jetzt? Magst du dich erinnern, wir haben in Weißrussland gebaut, und Weißrussland ist ja nun auch nicht gerade als lupenreine Demokratie bekannt. Du warst sogar Projektmanager. Das war eine Bibliothek, sagte Yolanda. Eine Privatbibliothek, ergänzte Sebastian. Jetzt mal ganz ehrlich, sagte er, wir alle würden den Bau des Olympiastadions in Peking nicht ausschlagen, oder? Erwin grinste. Yolanda schwieg.
Ich kannte Yolanda vom Studium. Sie war zwei Semester über uns gewesen. So eine Wunderfrau ist das, hatte Sebastian einmal gesagt, so eine Ostwunderfrau. Sie war schön, klug, sie war glücklich verheiratet und hatte zwei Kinder. Auch die Kinder waren Wunderkinder, schön, klug, und so weiter. Zu Hause sprach sie mit ihren Kindern (Zwillinge, fünf Jahre) nur Englisch, damit sie die Prüfung an eine renommierte mehrsprachige Schule schaffen würden. Die Kinder antworteten ihr stoisch auf Deutsch. Früher, als wir noch befreundet waren, hatte Yolanda uns, eher mir, einmal ihre Angst gestanden; sie habe eine solche Angst, ja Panik, ihre Zwillinge könnten den Anschluss verpassen. Anschluss woran, hatte ich etwas konsterniert gefragt. Na, woran wohl! In der Schweiz zum Beispiel, sagte sie, gäbe es Kindergärten, die schon Chinesisch unterrichteten. Sie wolle, sagte sie, ihnen die bestmöglichen Startchancen bieten. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Es schien ihr bitterernst zu sein, und ich hätte am liebsten laut gelacht. Ich sagte, sie solle das ein bisschen lockerer sehen, die Zwillinge seien ja gerade erst aus den Windeln raus. Sie tupfte sich die Tränen ab, setzte sich zurecht. Du hast ja keine Kinder, sagte sie. Danach berichtete sie nur noch von den Erfolgen. Sie lud uns zum Vorspielen an der Musikschule ein, Geige beide.
Es passte also gar nicht zu ihr, sich über die Moral im Geschäft Gedanken zu machen, und schon gar nicht passte es zu ihr, ein prestigeträchtiges Projekt aus moralischen Gründen abzulehnen. Während ich noch vage darüber nachdachte, eigentlich zu müde war, um zu denken, sagte Sebastian, er wolle ja nicht unhöflich sein, aber wir sollten das jetzt beenden. Das sei doch eine blöde Diskussion, Yolanda wolle sich ja nur wichtig machen. Yolanda richtete sich noch ein bisschen gerader auf, als sie ohnehin schon saß, so was müsse sie sich ja nicht anhören, nicht von dem da, bei diesem Vater. Ich sah hinüber zu Sebastian. Die Muskeln seines Kiefers spannten sich, sekundenlang, aber er schwieg. Wir wollen doch, sagte ich, sachlich bleiben, nicht?
Yolanda machte tatsächlich noch eine traumhafte Karriere, aber nicht in Sebastians Büro, sondern im Büro jenes Londoner Architekten. Ab und zu las ich Artikel von ihr in Architekturzeitschriften.
Später, als sich die Runde ohnehin allmählich auflöste, gingen wir noch in ein Pub auf einen Drink.
Wir hätten gar nicht herkommen sollen, sagte Sebastian.
Wieso, sagte ich, nur um ihm zu widersprechen, war doch
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