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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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ganz interessant.
    Was war daran jetzt interessant?
    Du hast sowieso die ganze Zeit schon schlechte Laune.
    Du aber auch.
    Du hast mich angesteckt.
    Jetzt bin ich schuld?
    Ich nippte an meinem Gin Tonic, Sebastian an seinem Whisky. Sonst trank er nie Whisky. Ich wäre lieber allein gewesen. Dieser Architektenklüngel nervte mich, Yolanda nervte mich, das Pub, die Musik, alles nervte mich, auch Sebastian. Ich war ungerecht, ich redete Mist, ich dachte Mist, ich hatte Kopfschmerzen.
    Sebastian blickte an mir vorbei zum Eingang. Ich drehte mich um. Yolanda stand vor dem schweren Lodenvorhang, der den Innenraum vor Zugluft schützte. Sie schien jemanden zu suchen.
    Als sie uns entdeckt hatte, kam sie leicht schwankend auf unseren Tisch zu. Darf ich, fragte sie und setzte sich auf den freien Hocker. Sorry, Basti, sagte sie, wegen vorhin, das war blöd von mir. Sebastian sagte nichts, nickte nur knapp. Yolanda bestellte sich einen Wodka. Sei uns nicht böse, sagte ich und stand auf, aber wir wollten vorhin schon gehen.
    Am Sonntag war die Stimmung nicht viel besser. Wir schlenderten durch die Innenstadt. Zeit totschlagen. Vorbei an den mächtigen, weiß getünchten viktorianischen Fassaden. Häuser, deren Rückseiten nackten Brickstone zeigten, gelbbraune schmutzige Wände, durchzogen von einem Gewirr gusseiserner, glänzend schwarz gestrichener Fallrohre. Den blühenden Frühling, den wolkenlosen Himmel, die warme Luft genoss ich nicht. Bis wir auf dieses Schuhgeschäft stießen, Gibsons, und Sebastian seine braunen Halbschuhe kaufte. Wir deswegen den Flug verpassten.
    Ich muss los, sagte ich, kaum waren wir aus Hamburg zurück und am Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen. David wollte protestieren. Ich küsste ihn auf die Wange und weg war ich.
    In der Wohnung roch es nach verbrauchter Luft. Nach nicht hinuntergebrachtem Müll. Nach nicht sauber genug gewaschenen Kleidern. Es roch nach Kälte und nach schmutzigen Windeln. Ich zog den Mantel aus, die Schuhe und ging zum Anrufbeantworter. Keiner hatte angerufen, natürlich nicht, außer Mutter und Jana und manchmal Erwin rief ja kaum noch jemand an. Sie hatten es aufgegeben, mir helfen zu wollen, ich war selbst schuld. Ich hatte es nicht anders gewollt. Ich hörte die Ansage ab. Sebastians Stimme. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht, wir rufen zurück … Seine Stimme, die immer ausgeleierter wurde, je öfter ich das Band abspielte. Ich saß da im Flur auf dem Boden vor dem Anrufbeantworter und musste plötzlich lachen. So laut lachen, ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Das hier war übrig geblieben von Sebastian, das durfte doch nicht wahr sein. Dieses kleine Ohrgespenst. Man hörte darauf noch Rufus maunzen und im Hintergrund Musik. Tori Amos. Ich war dabei gewesen, den Tisch zu decken, und Rufus bettelte die ganze Zeit nach Futter. Als er seine Portion dann im Napf hatte, roch er nur kurz daran, schüttelte die rechte Pfote und wandte sich angewidert ab. Eigentlich wollte ich das Band besprechen, aber es funktionierte nicht. Ich war wütend geworden, ich hatte mit so etwas keine Geduld. Schon lange hätte ich einen neuen AB gekauft, aber Sebastian meinte, der alte sei noch gut genug. Er konnte fast alles reparieren.
    Ich spulte zurück, hörte das Band wieder ab, wieder und wieder und wieder. Ich lachte und lachte.
    Sebastian und ich verbrachten Weihnachten und Silvester zu Hause. Ich hatte Mutter eingeladen, aber sie wollte über die Feiertage ein Seminar besuchen. Das neue Jahr war vom ersten Tag an nur noch ein Rest gewesen. Die Monate vergingen. Irgendwie. Gleichförmig die Tage, die Nächte, die Zeit. Ich wartete darauf, dass Jana anrief. Dass die Beziehung zu David ein Ende fände. Dass etwas geschähe. Ein Wunder zum Beispiel, etwas, womit niemand rechnete. Sebastian gesund zur Tür hereinkäme. Sich das Schicksal für die Kränkung entschuldigt. Alles wiedergutmachen will. Das Schicksal aber sagt: Finde dich ab! Akzeptiere! Das Positive sehen, die schönen Seiten! Am liebsten hätte ich ihm die Faust in die Fresse gehauen. Nichts will ich akzeptieren. Man kann das nicht akzeptieren! Niemand kann das akzeptieren. Es ist ein Verbrechen, einen Menschen so zuzurichten! Mir nichts dir nichts aus heiterem Himmel. Ohne dass er sich etwas hat zuschulden kommen lassen.
    Der Frühling kam, der Sommer. Und je älter das Jahr wurde, desto überzeugter war ich, dass es sich nicht mehr lohne, jetzt noch etwas zu beenden oder neu zu beginnen. Ich holte Sebastian

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