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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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schon ziemlich grau. Sie färbte es nicht. Falten um Augen und Mund, die Haut gebräunt. Auch sie war über vierzig. Sogar ein bisschen älter als ich. Eigentlich, dachte ich, war dieses Zusammenleben in gemeinsamen Wohnungen zu Studentenzeiten doch nur ein Warten auf einen Mann, eine Familie gewesen.
    Über gewundene Wege gingen wir Richtung Wald. Ich verstand nicht ganz, warum ich Jana nicht längst besucht hatte.
    Ich war immer neidisch auf deinen Balkon, sagte Jana.
    Ich weiß.
    Für Jana musste die Welt doch in Ordnung sein. Sie und Bernd hatten aus einer Ruine ein Kleinod gemacht. Sie hatten drei Kinder bekommen und einen Garten angelegt. Sie hatten einen Ort geschaffen, von dem man nie, niemals wieder weggehen wollte. Eine Idylle. Jana hatte mittlerweile einen Namen als Figurenbauerin, ab und zu spielte sie noch an der Bühne in Neubrandenburg, meistens das Weihnachtsmärchen. Bernd war Psychologe und erstellte Gutachten für Idiotentests beim TÜV. Sie arbeiteten beide zu Hause, sie konnten die Kinder aufwachsen sehen. Sie konnten draußen, am großen Holztisch sitzend, die Gänse und Kraniche im Herbst nach Süden ziehen sehen. Sie konnten hier getrost alt werden.
    Und ich bin neidisch auf all das hier, sagte ich.
    Ich weiß, sagte Jana.
    Vorbei an Hecken, Schlehen und Dolden verblühten Flieders. Die Schlehen trugen kleine schwarze Beeren.
    Der Wald empfing uns als stille, lichte Kathedrale. Buchenwald. Der Weg führte leicht bergan.
    Bernd will weg, sagte Jana unvermittelt.
    Was, wie weg? Dich verlassen?
    Nein nein, nur, ihm ist alles hier zu fertig. Er will nach Schottland oder Frankreich, wir alle zusammen, keine Ahnung. Eine neue Ruine kaufen. Von vorne anfangen. Eine verrückte Idee.
    Und du? Die Kinder?
    Ich will hierbleiben. Ich bin froh, dass alles fertig ist.
    Nach einer Weile fragte Jana, ob wir, Sebastian und ich, eigentlich nie Kinder gewollt hätten.
    Bernd hatte Tee gekocht, ein Kuchen stand auf dem alten Holztisch unter dem Apfelbaum. Die Kinder spielten immer noch irgendwo, man hörte Geschrei von weiter weg.
    Ihr seid doch bestimmt hungrig, sagte Bernd und umarmte Jana. Dabei sah er mich an. Er meinte es gewiss nicht so, wie ich es verstand. Mitleid. Vorsicht. Rücksicht. Nicht unbefangen. Ich setzte mich. Das letzte Mal hatten wir zu viert an diesem Tisch gesessen. Könnte ich mich doch bloß an einen Toten erinnern. An einen Sebastian unter der Erde, im Himmel. Wie er zuschaut und dabei zufrieden ist, sich freut, sich mit mir freut. Als Bussard, als Seeadler oder von mir aus auch als Engel. Ich hätte daran glauben können. Ein zu früher Tod ist zwar schlimm, aber man wüsste, womit man es zu tun hat. Er würde die Abwesenheit plausibel machen. Nimmst du auch ein Stück? Ich nickte. Schokoladenkuchen. Der Wind stäubte den Puderzucker über das Gedeck. Wie aus dem Boden gewachsen standen plötzlich die Kinder am Tisch. Sie waren von oben bis unten schmutzig. Alle drei trugen Latzhosen. Bernd gab jedem von ihnen ein Stück auf die Hand, dann verschwanden sie wieder.
    Du willst weg, fragte ich Bernd.
    Diese Frage hätte ich nicht stellen dürfen, nicht jetzt, nicht so. Bernd warf Jana einen Blick zu. Eine Phalanx schreiender Kraniche zog über uns hinweg. Niemand sagte etwas. Ich hol mal die Sahne, sagte Bernd nach einer Weile und stand auf. Jana sah mich an. Warum hast du das gesagt, zischte sie. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht wollte ich dieses Bullerbü ins Wanken bringen. Bosheit aus Schmerz. Ein Leben im Glück, ein gesundes, langes Leben ist ein Triumph über die anderen. Ich selbst hatte das Spiel vorzeitig verloren, ausgeschieden. Holzringe auf dem Boden der Turnhalle, immer einer weniger als Kinder. Musik, Musik. Wer zu wenig flink, zu unentschieden ist, findet keinen Ring mehr. Scheidet aus. Einer muss ausscheiden. Nur ein Spiel. Ein kindlicher, giftiger Neid auf die Gewinner.
    Sebastians Krankheit machte mich zu einer bedauernswerten Kreatur. Zu jemandem, dem man Grobheiten nachsehen muss. Ich verfügte über kein Leben mehr, mit dem man angeben konnte. Nein, nicht angeben, aber zufrieden sein. Ein beeindruckend glückliches Paar mit einem anständigen Leben, so wie Jana und Bernd. Glücklicher sein als die anderen.
    Bernd kam zurück, stellte die Sahne auf den Tisch und sagte, erinnert ihr euch, wie er hier saß, das letzte Mal im Frühjahr, wie ihr beide hier gesessen habt, in Wolldecken gekuschelt, verliebt wie am ersten Tag. Sag mal, ihr hättet doch noch Kinder

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