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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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nicht richtig getroffen, nur Krebs, krabbelt weiter. Gott schleicht ihm nach mit erhobener Klatsche. Patsch. Noch immer lebt der Mensch. Gott ärgert sich. Patsch, patsch, patsch. Hier ein Infektiönchen, dort eine Metastase, bis der Mensch endlich tot ist. Kann jedem passieren, passiert aber nicht jedem. Dem einen alles und dem anderen fast nichts. Wer soll das verstehen? In tiefem Flug näherte sich ein Hubschrauber. Offenes Land jenseits der Leitplanken. Das Getreide war bereits geerntet, ein Teil der Felder schon wieder umgebrochen. Dazwischen weite Stilllegungsflächen, bestanden von schütterem, verdorrtem Grün. Steppengras. Steinbrocken. Kein Schatten, nirgends. Ich lehnte mich zurück, machte es mir so bequem wie möglich. Warten. Sebastians Haar über der Stirn war feucht vom Schweiß, an der Schläfe hatten sich Rinnsale gebildet. Ich nahm ein Taschentuch aus der Ablage unter dem Armaturenbrett, gab es ihm. Er schnäuzte sich und tupfte sich den Schweiß ab. Sofort war wieder neuer da.
    Schon stieg der Hubschrauber in die Höhe, drehte ab und flog nach Süden davon. Sie flogen nach Berlin zurück. In Brandenburgs Krankenhäusern war Überleben ja noch immer Glücksache. Neulich war ich in der Zeitung auf eine Statistik gestoßen. Wonach in den sogenannten neuen Bundesländern glatte fünfzig Prozent mehr Menschen an Herzerkrankungen starben als im Rest der Republik. Es ging gegen Mittag. Die Sonne war jetzt bedeckt von schlierigem Gewölk. Wie lange würde das hier noch dauern? Manche hatten den Motor angelassen, damit die Klimaanlage funktionierte. Wir hatten keine. Ich stieg aus.
    Bastian, bleibst du hier? Falls es plötzlich weitergeht.
    Er nickte.
    Ein Stück weiter vorne fragte ich jemanden, was eigentlich passiert sei. Schulterzucken. Ich versuchte etwas zu sehen, sah nichts. Ein Mann stand an der Böschung und pinkelte. Überall lungerten Menschen herum. Picknick im Schatten der Autos. Wo solls denn hingehen, fragte ich eine Frau in Minirock und einer Dose Bier in der Hand. Usedom, sagte sie. Wolln Se och eens? Sie deutete auf das Bier in ihrer Hand. Nee, danke. Ich ging weiter. Ich musste mich bewegen. Weiter vorn dröhnte Musik. Ein paar Jugendliche, auch sie, Bierdosen in der Hand. Jetzt sah ich die Absperrung. Das Blaulicht. Ich sah einen Lkw und einen grünen Kombi dahinter, der bis zur Hälfte platt war. Ein Fleck auf dem Asphalt. Ein Mann lehnte am Lkw und sah blicklos in die Ferne. Keiner kümmerte sich um ihn. Ich fragte einen der Polizisten, was eigentlich passiert sei. Der schaute mich nur an. Sein Funkgerät knisterte und blaffte Worte, die ich nicht verstehen konnte. Der Polizist war sehr jung. Auch er schwitzte stark. Er wandte sich ab. Ich ging zurück.
    Plötzlich kam ein gelbgeflecktes Hündchen angerannt, hinter ihm her ein Junge. Luzi, hierher, Luzi!, rief der Junge. Das Hündchen rannte unter der Leitplanke hindurch aufs Feld hinaus, schlug Haken, hierhin, dorthin. Die Leine flatterte am Halsband.
    Wir sollten unbedingt mal über ein neues Auto nachdenken, ging mir durch den Kopf, eins mit Klimaanlage. Aber Sebastian würde sagen, was man nicht hat, kann auch nicht kaputtgehen. Ich sah dem Hündchen hinterher. Eine junge Frau stand jetzt an der Leitplanke und rief nach dem Jungen. Der hatte die Leine endlich zu fassen bekommen, gab dem kleinen Hund einen Klaps und nahm ihn auf den Arm.
    Wo stand eigentlich unser Auto? War ich schon zu weit gegangen? Ich sah vor und zurück. Ich gab mir Mühe, aber ich hatte keinerlei Erinnerung an die Autos vor oder hinter uns. Farbe? Marke? Auch nicht darauf geachtet, ob am Rand auf unserer Höhe etwas Besonderes gewesen war, Gesträuch, ein Schild, irgendetwas. Sebastian hätte bestimmt gerufen. Also war ich noch nicht weit genug gegangen. Ich hatte das Gefühl, ganz woanders zu sein. Mich nicht mehr auf mein Gedächtnis, auf mein Orientierungsvermögen verlassen zu können. Weiter. Aber nichts, kein Sebastian. Ich blieb stehen. So weit weg von der Unfallstelle hatten wir doch nicht gestanden, oder?
    Als sei ein stummes Kommando gegeben worden, gingen die Menschen zu ihren Autos, setzten sich hinters Steuer. Mist, es geht weiter. Und ich finde unseren Wagen nicht. So blöd kann doch keiner sein. Sebastian würde sich bestimmt ans Steuer setzen und auf den Pannenstreifen fahren. Warten, bis ich ihn gefunden hatte. Kein Grund zur Panik. Es blieb mir jetzt nichts anderes übrig, als alle losfahren zu lassen. Ich ging hinüber zum Pannenstreifen.

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