Aussicht auf Sternschnuppen
Ihrer tiefgründigen Analyse hätte ich sowieso nichts entgegenzusetzen. Und Sie haben mich überzeugt. Welchen Sport sollte ich Ihrer Meinung nach ausüben?“
„Gehen Sie joggen.“
„Langweilig.“
„Volleyball?“
„Dafür bin ich zu klein.“
„Golf.“
„Ich habe noch Sex.“
„Wie bitte?“
„Vergessen Sie es. Weitere Vorschläge?“ Nils sah mich auffordernd an.
„Reiten.“
„Schwul.“
Ich dachte an Giuseppe und dass er kürzlich darüber gesprochen hatte, wegen seiner Rückenprobleme Reitstunden zu nehmen. „Ist das nicht ein Vorurteil?“
„Dass nur schwule Männer reiten? Bestimmt nicht.“ Nils schüttelte den Kopf. „Mein bester Freund ist schwul. Er hat vor einem Jahr im Reitstall am Englischen Garten einen schwulen Reiterstammtisch ins Leben gerufen. Mittlerweile umfasst er zwanzig Mitglieder.“
Ich war überrascht. Nicht wegen Nils’ stereotyper Meinung über männliche Reiter, sondern wegen etwas anderem. „Sie haben einen schwulen Freund?“
„Ja. Joschua Zimmermann. Vielleicht haben Sie ihn schon einmal im Fernsehen gesehen. Er …“
„Sparen Sie sich Ihre Erklärungen. Ich besitze seit zwei Jahren keinen Fernseher mehr. Und irgendwelche seichten deutschen Komödien habe ich mir seit meiner Pubertät nicht mehr angeschaut.“
„Er ist Nachrichtensprecher.“
Oh! Ich schwieg betreten.
„Wissen Sie, Sie halten mir die ganze Zeit meine Intoleranz vor, dabei sind Sie kein bisschen besser als ich. Außerdem sind Sie die größte Spaßbremse, die mir je unter gekommen ist. Sie trinken keine Cola und essen kein Fleisch. Sie hassen Fußball und schauen kein Fernsehen. Abgesehen davon, dass Sie am Telefon lügen, scheinen Sie sich immer an die Regeln zu halten. Das hört sich, meiner Meinung nach, nach einem ziemlich langweiligen und trostlosen Leben an.“
„Ich habe Sie aber nicht nach Ihrer Meinung gefragt und ich denke, ich kann jetzt weitergehen. Je schneller diese Wanderung vorbei ist, desto besser.“
Ich drehte mich um und ging los. Nils sollte nicht merken, wie sehr mich seine Worte verletzt hatten. Tatsächlich lag der See gleich hinter der nächsten Kurve und er entschädigte mich für fast alles, was sich heute Schreckliches zugetragen hatte. Selbst für die Blase, die sich an meiner rechten Ferse allmählich bildete und die bei jedem Schritt unangenehm ziepte.
Malerisch schmiegte er sich um ein Wäldchen, aus dessen Mitte sich eine kleine weiße Kapelle mit runden Zwiebeltürmchen erhob. Nils steuerte sofort die hölzerne Brücke an, die zu dem Wäldchen herüberführte, und lehnte sich in deren Mitte gegen die Brüstung. Ich folgte ihm, achtete aber demonstrativ darauf, einige Meter Abstand zwischen uns zu lassen. Ich würde ihn einfach ausblenden!
Verträumt schaute ich auf die sanft gewellte blau-grüne Wasseroberfläche, aus der die Sonne einen Teppich aus Tausenden von winzigen Diamanten gewebt hatte und an deren Ufern noch vereinzelte Schneefelder funkelten. Ich schloss einen Moment die Augen, lauschte dem sanften Rauschen des Windes in den Baumwipfeln und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Tief zog ich die frische Bergluft ein. Sie war so klar, so würzig, so – ein Rauchschwaden zog an meiner Nase vorbei und genervt schaute ich zur Seite – teerig.
Nils blickte ebenso wie ich auf den See hinaus. Dabei zog er ab und zu genussvoll an einer Zigarette und blies den Rauch in mehreren großen und kleinen Kringeln vor sich hin.
Erst mich als besserwisserische Ziege und mein Leben als trostlos bezeichnen und nun auch noch die reine Bergluft verpesten. Dieser Mensch war das Letzte!
Ich ging zu ihm hinüber und stupste ihn unsanft mit dem Zeigefinger in die Seite.
„Wenn wir wieder im Tal sind, müssen wir so schnell wie möglich an einer Apotheke anhalten. Ich kann Ihre blöde Raucherei nicht mehr länger ertragen.“
Doch Nils blieb ungerührt. „Gut, und Ihnen bringe ich ein Päckchen Heftpflaster mit. Ich kann nämlich Ihr ständiges Gemecker nicht mehr ertragen.“
So ein Mistkerl!
Ich holte tief Luft: „Wir hatten ein Abkommen. Ich gehe mit Ihnen wandern, Sie verzichten darauf zu rauchen. Sie halten sich nicht daran.“
„Unser Abkommen ist aber bisher noch nicht in Kraft getreten, da ich bisher noch keine Gelegenheit hatte, mir Nikotinpflaster zu kaufen.“ Nils äffte meinen Tonfall nach.
„Es wäre aber ein gutes Training für Ihre Willensstärke, sich jetzt schon in Enthaltsamkeit zu
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