Aussicht auf Sternschnuppen
hin und wieder von hölzernen Treppenstufen durchbrochen wurde. Vorbei an kleinen braunen Schuppen und begleitet vom Rauschen eines unsichtbaren Flusses merkte ich schon bald, dass ich mit Nils’ Tempo auf Dauer nicht würde mithalten können und fiel immer weiter ab.
Schwer atmend ließ ich mich nach etwa der Hälfte des Anstiegs vor einem zerfallenen Gehöft auf einer der Treppenstufen nieder und warf einen Blick ins Tal hinunter. Noch wirkte das Gras auf den Weiden mehr strohig als grün und an mehreren Stellen schien die Erde durch, doch weiße und lilafarbene Krokusse und gelbe Schlüsselblumen ließen bereits jetzt vermuten, welche Farbenpracht den Wanderer im Sommer auf diesem Weg erwarten würde. Neben mir zog ein Bauer unermüdlich eine Art Pflug an einer Eisenkette eine Weide hoch und wieder herunter. Dieses Bild musste ich mir vor Augen halten, wenn ich bei 35 Grad stöhnend hinter dem Schreibtisch saß und meinen Bürojob verfluchte!
Nur widerwillig löste ich meinen Blick von der Szenerie und setzte meinen Aufstieg fort. Von Nils war weit und breit nichts mehr zusehen. Unglaublich! Was für eine Kondition diese Raucherlunge hatte!
Kurz hinter dem Gehöft wurde der Weg noch steiler. Mir erschien er schon fast senkrecht. Erschwerend kam hinzu, dass er alle paar Meter von sprudelnden Bächlein durchkreuzt wurde, die nur durch einen Sprung trockenen Fußes überquert werden konnten.
Erst als es ein wenig flacher wurde, traf ich auch Nils wieder. Er saß auf einem großen Felsbrocken am Rande einer Wiese und wartete auf mich.
„Haben Sie mir nicht erzählt, dass Sie den Weg kennen?“, keuchte ich und wischte mir einige Schweißtropfen von der Stirn. „Sie sagten etwas von einer halbstündigen Wanderung. Die Zeit ist um, aber von einem See ist weit und breit nichts zu sehen. Wir haben uns bestimmt verlaufen.“
„Nein, haben wir nicht. Wir müssen nur hinter der nächsten Kurve ein Stück den Berg hinunter und schon sind wir da.“
„Das ist ja toll!“, bemerkte ich zynisch und ließ mich neben ihn auf den Felsbrocken sinken. Ich brauchte eine Pause. Dringend! Und Wasser! Aber da Nils diese handfeste Bergtour eher als einen Sonntagsspaziergang im Englischen Garten dargestellt hatte, hatte ich nicht daran gedacht, etwas zu trinken mitzunehmen.
Ganz im Gegensatz zu Nils, der mir nun eine Flasche Cola vor die Nase hielt.
„Hier, trinken Sie einen Schluck! Dann geht es Ihnen bestimmt besser.“
Ich rümpfte die Nase. „Das ist Cola! Ich trinke niemals Cola. Wissen Sie eigentlich, dass in einer Flasche 40 Zuckerwürfel drin sind?“
Nils zog die Flasche wieder zurück. „Ich zwinge Sie zu nichts.“
Genussvoll trank er einen großen Schluck. Ich merkte, dass in meiner Kehle mittlerweile saharaähnliche Zustände herrschten, und beschloss, meinen Stolz mit der Zuckerbrühe herunterzuspülen.
„Geben Sie her!“ Ich riss ihm die Flasche aus der Hand. „Bevor ich verdurste, wird es schon gehen.“
Die erhoffte Erfrischung blieb natürlich aus und auch mein Durst war nur minimal gestillt. Aber wenigstens konnte ich wieder einigermaßen normal sprechen.
„Es wundert mich, ehrlich gesagt, dass Sie trotz Ihrer ungesunden Lebensweise noch einigermaßen fit sind.“
„Ich glaube nicht, dass Sie ein Urteil über meine Lebensweise fällen können.“ Nils nahm mir die Flasche aus der Hand.
„Ich habe auf dieser Fahrt aber bereits ausgiebig Kontakt mit Ihrer Lebensweise machen können. Sie rauchen wie ein Schlot, Sie essen Fast-Food und anstatt wie jeder normale Mensch Wasser auf eine Wanderung mitzunehmen, haben Sie Cola dabei.“
„Sie haben überhaupt nicht daran gedacht, etwas zu trinken mitzunehmen. Und Sie sind es auch, die trotz Ihres Wasserkonsums und Ihres trostlosen Vegetarier-Daseins hier stehen und aus dem letzten Loch pfeifen. So ungesund kann mein Lebenswandel also im Vergleich zu Ihrem überhaupt nicht sein. Außerdem treibe ich regelmäßig Sport.“
„Ach! Was denn? Lassen Sie mich raten: Sie spielen Fußball.“
„Unter anderem. Lassen Sie mich raten: Sie mögen Fußball nicht.“
„Nein. Überhaupt nicht“, sagte ich herablassend. „22 Männer rennen bei jedem Wetter über eine Wiese und versuchen einen kleinen Ball in einen Kasten zu schießen. Während des Spiels lassen sie sich ständig mit schmerzverzerrtem Gesicht fallen, beschimpfen sich gegenseitig und am Ende tauschen sie ihre eklig nassen Trikots aus. Muss ich noch mehr dazu sagen?“
Nils seufzte. „Nein.
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