Aussicht auf Sternschnuppen
Schwarz, ohne Zucker. Haben – Sie – mich – verstanden?“ Die letzten Worte sprach sie übertrieben langsam und deutlich aus, so dass ich mich umgehend an meine Grundschullehrerin Frau Brasen erinnert fühlte.
Auch der Kellner schien eingeschüchtert. „Un caffè senza zucchero“, wiederholte er und wandte sich dann an mich.
„E per me un cappuccino, per favore.“ Endlich konnte ich mit meinen Volkshochschulkenntnissen punkten.
„Cappuccino.“ Die ältere Dame verzog das Gesicht. „Neumodischer Kram. Ich heiße übrigens Lydia Sing“, stellte sie sich ohne Übergang vor und reichte mir die Hand. Ihr Händedruck stand ihrem Tonfall in nichts nach.
„Helga Baum.“ Unter dem Tisch massierte ich heimlich meine schmerzenden Finger.
„Helga. Ein schöner Name. Heutzutage eher selten. Aber zu meiner Zeit nicht außergewöhnlich.“ Sie lächelte und lehnte sich entspannt zurück. „Fangen Sie an! Ich mag gute Geschichten. Also enttäuschen Sie mich nicht!“
„Was wollen Sie wissen?“
„Warum haben Sie Ihren Autoschlüssel nach meinem Begleiter geworfen?“
Woher wusste sie das denn? Ich dachte, sie wollte mich nach dem Einbruch in ihr Zimmer fragen. Sofort ging ich in die Defensive.
„Hab’ ich nicht.“
Ihre blassblauen Augen blickten mich mitleidig an. Lügen und Ausreden schienen zwecklos zu sein.
Mittlerweile hatte der Kellner unsere Getränke vor uns abgestellt. Ich nahm meinen Cappuccino und nippte daran, um Zeit zu schinden.
„Na gut, hab’ ich“, gab ich schließlich zu. „Aber ich hatte einen Grund …“
„Und genau den würde ich gerne hören.“
„Giuseppe ist mein Freund. Ich habe gestern Morgen aus Versehen eine SMS gelesen, in der ihm eine Angela geschrieben hat, dass sie es kaum erwarten kann, ihn wiederzusehen.“
„Ach, und diese SMS haben Sie aus Versehen gelesen?“ Sie wirkte amüsiert. „Genauso aus Versehen, wie Sie in mein Hotelzimmer eingedrungen sind?“
Ich ignorierte ihren Einwurf. „Auf jeden Fall bin ich ihm zum Flughafen gefolgt und habe gesehen, wie er mit Ihnen und einer anderen Frau in einen Mercedes gestiegen ist.“ Ich wartete eine kleine Weile, ob sie dazu eine Erklärung abgeben würde, aber sie tat es nicht. Also fuhr ich fort: „Ich habe mir dann einen Leihwagen genommen und bin Ihnen gefolgt. Von Giuseppe wusste ich, dass er in Verona einen Zwischenstopp einlegen würde. Und als ich auf der Piazza Brà stand und mir einen Plan zurechtlegen wollte, ist Giuseppe mir zusammen mit der jungen Frau begegnet. Es hat so ausgesehen, als ob er sie küssen wollte und bei mir sind die Sicherungen durchgebrannt. Tja, und dann habe ich den Autoschlüssel nach ihm geworfen. Ich bin normalerweise aber wirklich kein gewalttätiger Mensch. Wirklich nicht!“, beteuerte ich.
Lydia Sing zuckte mit den Schultern. „Erzählen Sie weiter!“
„Und dann habe ich gesehen, dass Sie meinen Schlüssel aufgehoben haben. Ich wollte ihn mir wiederholen und den Rest der Geschichte kennen Sie ja.“
„Man hat mir mitgeteilt, dass die Polizei Sie gestellt und festgenommen hat. Aber wie sind Sie wieder frei gekommen? Haben Sie den Polizisten auch erzählt, dass Sie nur aus Versehen in mein Zimmer eingebrochen sind?“ Sie blickte mich ironisch an.
„Ich konnte denen überhaupt nichts erzählen. Meine Italienischkenntnisse reichen nämlich leider nur zum Bestellen eines Cappuccinos. Nils, mein Begleiter, mit dem ich mir zusammen den Mietwagen teile, spricht fließend Italienisch. Er hat dem Polizisten erklärt, ich sei seine Freundin und hätte ihn bei einem Seitensprung erwischen wollen, dabei aber die Hotelzimmer verwechselt.“
Lydia lachte laut auf. Ihr Lachen stand in krassem Gegensatz zu ihrer filigranen Gestalt. „Ihr Mitfahrer gefällt mir.“
„Mir weniger“, murmelte ich.
„Was haben Sie gesagt?“
„Nichts. Ich habe mich nur geräuspert.“
„Sie lügen nicht besonders gut.“ Sie blickte mich strafend an.
Ich gab mich geschlagen. „Gut, ich werde es in Zukunft lassen. Aber jetzt sind Sie an der Reihe. Haben Sie Giuseppe schon vor Ihrer gemeinsamen Reise gekannt?“
Lydia überlegte einige Augenblicke. Dann bekam ihr Gesicht auf einmal einen listigen Ausdruck. „Sie möchten meine Geschichte hören?“
„Ich bitte darum.“
„Ich werden Sie Ihnen erzählen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Wenn Sie mir dafür einen Gefallen tun.“
„Ich habe Ihnen erklärt, warum ich in Ihr Zimmer eingedrungen bin. Ist das nicht Gefallen
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